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Den Tod im Blick- Numbers 1

Den Tod im Blick- Numbers 1

Titel: Den Tod im Blick- Numbers 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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ich erzählte, für sie keinen Sinn. Jetzt erwartete sie, dass ich sie mit meiner Antwort in den Arsch trat, so wie ich es vor ein paar Wochen auch getan hätte. Aber wozu?
    »Ich weiß, Karen«, sagte ich. »Ich weiß.«
    Und sie presste die Lippen zu einem schmalen kleinen Lächeln zusammen, als Anerkennung für die Mühe, die es mich gekostet hatte, das zu sagen.
    »Noch ein bisschen Tee, mein Schatz?«
    Ich nickte.
    »Ja. Ich vertret mir mal ein bisschen die Beine, so lange, bis das Wasser kocht.«
    »Okay.«
    Ich stand auf und trat in die Kirche, wieder überrascht von der gewaltigen Größe, dem Raum über mir. Überall auf dem Boden sah ich Steine, in die Schrift eingemeißelt war. Auf einem davon stand ich gerade, dem Gedenkstein für jemanden, der seit zweihundertdreißig Jahren tot war. Auch die Wände waren mit Tafeln übersät. Worten, die Hunderte von Jahren überdauert hatten – und Menschen beschrieben, an die sich niemand mehr erinnerte. Ich war umgeben von Skeletten und Geistern.
    Ich schaute mich in der Kirche um und versuchte die Schriften zu entziffern. Es hätte mir Angst einjagen müssen. Aber so war es nicht. Es gefiel mir – mir gefiel die Aufrichtigkeit, die Zahlen von Menschen zu sehen. Die Steine nannten die Fakten: Geburtsdatum, Todesdatum. Die Zahlen waren okay – es waren die Worte, die mir mehr zu schaffen machten: Verlassen; Zur Ruhe gelegt; Vom Herrn zu sich genommen; Fortgegangen an einen besseren Ort. Vor diesem letzten Stein blieb ich stehen. War es Wunschdenken, Glaube oder vielleicht Gewissheit? Wenn ich einen Gedenkspruch geschrieben hätte, würden die letzten Worte anders lauten. Einfach nur Fort oder Gegangen .
    Mehr war’s nicht, so wie ich das sah. Wie konnte jemand wirklich wissen, dass es anders ist?
    Ich fing an mir Gedanken zu machen, wo meine Ma jetzt wohl war oder zumindest das, was von ihr übrig war. Was ist mit ihr passiert, nachdem sie mich in dem Wagen fortgebracht hatten? War sie beerdigt oder eingeäschert worden? Hatte es ein Begräbnis gegeben und war irgendwer hingegangen? Oder werden Junkies, Penner und Schlampen einfach in einen Container geworfen? Plötzlich wollte ich unbedingt, dass es irgendwo ein Grab für sie gab. Ich wollte, dass ihr lausiges, verkorkstes Leben ein richtiges Ende gefunden hatte.
    Dann lief mir ein Schauer über den Rücken. Was würden sie für Spinne tun? Es schien unmöglich, dass er in etwas mehr als vierundzwanzig Stunden einen Grabstein brauchen würde. Wie konnte einer, der so lebendig war, so vor Energie strotzte, einfach sterben?
    Ich spürte, wie eine Welle der Angst in mir hochstieg. Egal, was Karen behauptete, Spinnes Leben ließ sich jetzt in Stunden, sogar Minuten messen. Ich hatte seine Zahl so oft gesehen. Sie änderte sich nicht. Sie war wahr. Er würde im Gefängnis sterben. Vermutlich zusammengeschlagen. Falls er nicht krank war. Vielleicht war er ja schon krank, jetzt, vielleicht war er bereits in der Gewalt von irgendwas, das ganz harmlos schien, von dem niemand annahm, dass es tödlich verlief. Ich konnte doch nicht die nächsten Stunden einfach abwarten, bis jemand kam und mir die Nachricht überbrachte. Ich musste den Druck erhöhen, sie irgendwie dazu zwingen, dass sie ihn freiließen.
    »Tee ist fertig«, hallte Karens Stimme durch die Kirche.
    Ich ging zurück in die Sakristei, entschlossen, einen Weg zu finden, ihn wiederzusehen. Mein ganzes Leben lang war ich stets wie ein Korken auf dem Meer geschwommen, hin und her geworfen, von einem Heim ins andere, ohne mich jemals zu fragen, was das mit mir machte. Jetzt musste ich die Initiative ergreifen.
    Wir tranken unseren Tee und machten uns bettfertig. Karen plapperte vor sich hin und versuchte es lustig klingen zu lassen. Inzwischen war ich so müde, dass ich fast umkippte. Sie deckte mich zu, danach hörte ich, wie auch sie sich ächzend und stöhnend hinlegte.
    »Ist doch ganz bequem«, sagte sie und ihre Stimme klang, als ob sie sich aufheitern und das Beste aus der Situation machen wollte.
    »Äh … nein. Aber immer noch besser, als unter einer Hecke zu schlafen.«
    »Hast du das gemacht?«
    »Mhm.«
    »Na, jetzt schlaf erst mal ein bisschen und morgen reden wir weiter darüber, dass du nach Hause kommst und mal wieder eine ganze Nacht in einem richtigen Bett schlafen kannst.« Ihre Decke raschelte, als sie sich herumwälzte. »Ehrlich gesagt, Jem, du hast ganz Recht, ich glaube nicht, dass ich hier länger als eine Nacht schlafen kann – der

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