Den Tod im Blick- Numbers 1
Boden ist steinhart …« Aber keine fünf Minuten später schnarchte sie selig vor sich hin. Sie war ganz weit weg.
Vielleicht hätte ich ja schlafen können, wenn ich allein gewesen wär, aber es schien, als erfüllte ihr ständig rasselndes Ein- und Ausatmen den ganzen Raum. Es war unglaublich irritierend. Ich war auch neidisch. Wie konnte diese Frau so schnell einschlafen? Mein Kopf war voll von den Ereignissen der letzten paar Tage und raste zugleich ständig zu denen, die mir bevorstanden. Nach etwa einer halben Stunde wusste ich, dass ich aufstehen musste, oder ich würde Karen umbringen. Sogar mir erschien die Mordoption ein bisschen extrem, deshalb schlug ich die Decke zurück und stand auf.
Ich dachte an die Worte, die Simon Karen zugeflüstert hatte, ehe er die Kirche verließ, ging auf Zehenspitzen zum Tisch und öffnete leise eine der Schubladen. Die Schlüssel waren tatsächlich da, ein großes, schweres Bund. Als ich sie herausnehmen wollte, stießen sie mit einem metallisch klirrenden Geräusch aneinander. Ich zog am unteren Ende meines Pullovers, um die Schlüssel zu umwickeln und das verräterische Geräusch zu ersticken. Dann tappte ich aus der Sakristei in die dunkle Höhle der Kathedrale.
KAPITEL 32
Es war stockdunkel in der Kirche. Nur die Straßenbeleuchtung drang von außen durch die Bleiglasfenster. Sobald sich die Augen dran gewöhnt hatten, konntest du aber alle Umrisse erkennen; von den Bänken, den Statuen, alles in unterschiedlichen Grauschattierungen. Ich wusste, dass die Tür hinten und die seitlichen nach draußen führten, doch dahin wollte ich gar nicht – ich war mir ziemlich sicher, dass ich eine bessere Verhandlungsposition hatte, wenn ich in der Kirche blieb. Austesten wollte ich es aber lieber nicht. In einer Ecke neben dem Altar entdeckte ich noch eine Tür und probierte die Schlüssel durch.
Der dritte passte. Ich schloss auf und kam in einen kleinen Raum, der voller Gerümpel stand – na ja, das Zeug sah jedenfalls aus wie Gerümpel; haufenweise alte Steine und morsches Holz. Hier drinnen war es dunkler, aber ich konnte auf der gegenüberliegenden Seite eine zweite Tür erkennen. Auch dafür fand ich den richtigen Schlüssel. Dahinter war es noch dunkler, ein Schimmer fiel auf die unterste Stufe einer steinernen Treppe am Fuß einer Säule. Ich zögerte einen Moment. Die Sache wurde mir langsam unheimlich. Ich glaubte nicht, dass ich es schaffen würde, im Dunkeln da hochzugehen. Ich trat in den Raum und berührte mit der Hand die kalte Steinmauer. Dann ertastete ich etwas, einen Schalter. Ich knipste ihn an und sah, wie sich die Treppe um die andere Säule wand.
»Also los«, sagte ich und versuchte mir Mut zu machen. Meine Worte prallten von den Steinen zurück. Klingt ja ohnehin schon scheiße, wenn du mit dir selbst sprichst. Aber noch beknackter ist es in einer Kirche.
Ich ging die Treppe hoch. Hatte ganz schön Muffe, außerdem war das eine Knie immer noch nicht in Ordnung, trotzdem ging ich weiter, nahm eine Stufe nach der andern. Man konnte immer nur die nächste erkennen, und es schien, als ob die Treppe kein Ende hätte. Es war eiskalt, der Stein, den ich durch die Socken spürte, die Wände, sogar die Luft war hier kälter. Ich überlegte gerade, ob ich nicht besser zurückgehen sollte, um mir meine Schuhe und einen Mantel zu holen, oder ob ich nicht sowieso aufgeben sollte, Schluss, fertig, aus, als ich plötzlich das obere Ende erreichte. Die Treppe hörte einfach auf, vor mir eine kahle Wand, aber seitlich war eine Tür. Wieder taten die Schlüssel ihren Dienst. Ich stieß die Tür auf und ein Schwall eisiger Luft schlug mir entgegen. Als ich eintrat, musste ich lachen. Ich konnte einfach nicht anders. Ich war auf dem Dach.
Eigentlich hab ich keine Höhenangst – zum Glück –, aber als ich auf dem Dach stand, durchrauschte mich eine Welle der Übelkeit und mir wurde ganz mulmig und schwindelig. Ich keuchte noch schwer vom Treppensteigen. Deshalb setzte ich mich hin und streckte den Kopf nach vorn. Die kalte Luft tat in der Lunge weh. Ich versuchte durch die Nase zu atmen und die Luft anzuwärmen, während ich sie einsog. Das half ein bisschen. Langsam, ganz langsam wurde mir wieder besser. Eine kleine Steinmauer lief an beiden Enden des Dachs entlang. Wie alles hier bildete auch sie ein Muster mit großen Löchern. Selbst im Sitzen konnte ich durch die Löcher die Dächer ringsum erkennen. Ich hielt mich an der Wand fest und stand wieder
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