Den Tod im Griffl - Numbers 3
Gesicht hat, wenn er ein Kaninchen sieht. »Ich gebe dir meine Zahl, wenn du mir deine gibst.« Er lacht. »Ja, das gefällt mir – es ist ein Tausch.«
Da begreife ich, so klar wie nur was, dass er sich meine Gabe einfach nehmen wird, wenn ich ihm nicht helfe. Er wird mich umbringen. In zwei Tagen, wenn seine Zahl fällig ist, wird er sich meine nehmen und hoffen, dass sich mein Zahlensehen mit überträgt.
»Hau ab, Saul«, sage ich. Vor Angst bleiben mir die Worte im Hals stecken. Ich springe auf und gehe zu der Wand gegenüber, stütze die Hände dagegen und lasse den Kopf zwischen die Arme sinken.
Auch Saul steht auf. Er kommt herüber und stellt sich dicht neben mich. Zu dicht.
»Wenn nicht du, wer dann, Adam?«, sagt er ruhig in mein Ohr. »Wer hat die gleiche Fähigkeit wie du. Wer hat deine Gabe? Deine Tochter vielleicht?«
Danach geht er zur Tür und klopft, um herausgelassen zu werden.
Als ich wieder allein bin, kreisen Sauls Worte wieder und wieder in meinem Kopf.
Seine Zahl verfolgt mich. Ich sehe sie in meinem Kopf flimmern, egal ob mit offenen oder geschlossenen Augen. Ich werde sie nicht mehr los.
Er hat mehr als einmal getötet, um am Leben zu bleiben.
Er hat gedroht, mich zu töten.
Er hat gedroht, Mia zu töten.
Ich weiß jetzt, was für ein Monster Saul ist. Und das Schlimmste ist: Mia hat auch eine Zahl, die flimmert. Omas Zahl. Heißt das, dass Mia wie Saul ist? Ist meine Tochter eine Mörderin?
Ich sitze auf der Matratze und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Mein Mädchen. Mein kleines Mädchen. Ich denke an ihr Gesicht, als ich ihr zum ersten Mal ein Vogelnest mit blassblauen Eiern gezeigt habe. Das Staunen darin. Die schiere Freude. So jemand kann doch nicht morden, oder?
Ich schaue nicht hoch, als ich höre, dass die Tür wieder aufgeht. Wenn es Saul ist, bin ich nicht bereit, noch weiter mit ihm zu reden. Ich kann ihm keine Antwort geben, also, jedenfalls nicht die, die er haben will. Aber es ist nicht Saul. Es ist ein Soldat mit einem Essenstablett. Jedes Mal ein anderer Soldat. Er reicht mir das Tablett und ich stelle es aufs Bett – Suppe, Cracker und ein Becher Wasser. Der Typ steht noch da und rührt sich nicht, fast so, als ob er ein Trinkgeld erwartet.
Schließlich schaue ich hoch in sein Gesicht. Er wirkt etwa genauso alt wie ich, ein schmächtiger Typ mit flaumigem Oberlippenbart. Er ist nervös und ein bisschen rot im Gesicht. Er wartet eindeutig auf etwas.
Dann räuspert er sich und nickt bedeutungsvoll zu dem Tablett hin. Ich schaue nach unten. Irgendwas ragt unter der Suppenschüssel hervor.
Der Soldat dreht mir den Rücken zu.
Es ist ein Stück Papier. Ich ziehe es raus und falte es auseinander. Auf der einen Seite ist eine Zeichnung von einem Friedhof. Merkwürdig. Ich drehe das Blatt um und dort steht etwas. Sieben Wörter: Komm zurück zu mir. Vertrau Adrian. Kuss .
Es ist von Sarah.
»Bist du Adrian?«, frage ich. Er nickt. »Sag ihr –«, fange ich an, doch er legt den Finger auf seine Lippen. Psst. Natürlich, sie könnten uns abhören. Der Junge ist clever. Er weiß Bescheid.
Er hält mir einen Bleistiftstummel hin.
Ich kann eine Antwort schicken.
Ich war noch nie gut in Lesen und Schreiben. Ich hab es versucht, aber nie richtig geschafft, doch jetzt habe ich das Gefühl, ich könnte ein ganzes Buch schreiben. Es gibt so viel zu erzählen, so viel, was ich ihr sagen muss. Ich will ihr sagen, dass ich sie liebe. Ich will, dass sie weiß, ich werde zu ihr zurückkommen, koste es, was es wolle. Ich muss sie wegen Saul warnen – aber ich weiß, sie hasst ihn bereits.
Vielleicht muss ich sie wegen Mia warnen …
Ich nehme den Bleistift. Der Soldat macht ein Theater, sieht zu dem Blatt hin und schließt dann die Augen. Er will mir sagen, dass er nicht lesen wird, was ich geschrieben habe. Dann dreht er mir wieder den Rücken zu.
Das Ende des Bleistifts schwebt über dem Papier. Was schreibe ich? Wird der Typ die Nachricht wirklich nicht lesen? Was soll ihn davon abhalten, draufzuschauen, sobald er die Zelle verlassen hat? Ich würde es tun, wenn ich er wäre. Wieso hat Sarah Vertrauen zu ihm?
Ich habe kurz seine Zahl gesehen, als er hereinkam – er hat noch Jahre Zeit, viele Jahre. Er ist ein Überlebender. Aber er sieht nicht aus wie jemand, der überlebt. Er hat etwas Schwaches an sich. Irgendwas passt nicht zusammen. Ich glaube nicht, dass ich von ihm Hilfe will.
Ich schreibe eine Nachricht. Sie wirkt lahm.
Vertrau niemandem. Ich
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