Den Tod im Griffl - Numbers 3
nach vorn.
Die Straße ist leer.
Wo ist Mia? Verdammt, wo ist sie?
Ich gehe schneller und halte meinen Bauch mit den Händen. Eine hohe Mauer läuft an der rechten Straßenseite entlang, mit Zweigen, die über die Kante ragen. Es könnte ein Hof oder Garten sein. Auf halbem Weg komme ich an einem Eisentor vorbei. Es ist nicht abgeschlossen.
Ich lege meine Hand auf den Riegel. Er ist kalt und nass – alles ist nass in diesem Nebel. Hinter dem Tor sehe ich Büsche und Bäume und plötzlich überkommt mich ein Gefühl von Grauen.
»Nein, nicht hier«, murmel ich vor mich hin.
Aber sie muss hier reingelaufen sein. Es ist der einzige Ort in der Nähe, wo sie hingegangen sein kann.
»Mia!«, rufe ich. »Komm zurück.«
Ich kann sie nicht sehen. Es gibt einen Weg mit Bäumen zu beiden Seiten.
Ich hab das schon mal gesehen. Ich war schon mal hier. Ich kenne diesen Ort.
»Mia! Komm zurück!« Ich bin verzweifelt, als ich plötzlich merke, was geschieht. Traum und Wirklichkeit kommen zusammen, wie es schon einmal geschehen ist. Wie es bei der großen Katastrophe geschehen ist.
Ich drücke gegen das Tor, um es weiter zu öffnen, damit ich Mia folgen kann, doch das Stechen ist wieder da. Es sitzt jetzt nicht mehr nur an einer Stelle, sondern breitet sich über und unter dem Bauch aus. Es schmerzt, presst, lähmt mich. Es ist kein Stechen – es ist eine Wehe. Ich habe Wehen. Wieso jetzt? Wieso?
Ich packe das schmiedeeiserne Tor mit beiden Händen und stemme mich dagegen, versuche gegen den Schmerz anzuatmen. Einen Moment lang schließe ich die Augen.
Atme. Atme. Du schaffst das.
Meine Augen sind zu, doch ich sehe trotzdem Bäume, Reihen von dunklen Stämmen und Steine wie Wachposten vor meinem inneren Auge. Ich spüre den Kies am Boden.
Da ist ein Gesicht dicht an meinem.
Da ist eine Hand mit einem Messer.
Es ist mein Albtraum.
Ich kann da nicht rein. Dort ist das Böse.
Der Schmerz lässt ein bisschen nach, ich öffne die Augen und sehe durchs Tor.
Es ist niemand da.
Mia ist fort und ich muss sie suchen.
ADAM
Atme, atme, atme.
Es hat einen weiteren Steinschlag gegeben, diesmal war er gefährlicher. Ich krieche auf Händen und Füßen, die Taschenlampe im Mund, als ich plötzlich das Zittern spüre und ungefähr eine Sekunde später den Lärm höre. Der Knall der Explosion vermischt sich mit dem Donnern fallender Steine, die teils ins Wasser, teils auf mich stürzen.
Die ganze Scheiße könnte runterkommen. Dann wäre ich hier begraben. Ich fühle mich schon jetzt wie begraben – die Luft ist so voller Staub, dass er die Kehle blockiert.
Ich kriege keine Luft. Verzweifelt fange ich an zu würgen.
Atme durch die Nase ein und aus durch den Mund.
Das hat mir meine Mum beigebracht, als alles zu viel für mich wurde, als die Zahlen über mich hereinstürzten. Ich nehme die Taschenlampe aus dem Mund und decke ihn mit der Hand ab, um den Dreck aus der Luft zu filtern.
Ein durch die Nase und aus durch den Mund.
Der Lärm hört auf. Jetzt ist nur noch mein Atem da, ein, aus, ein, aus, und das Pochen meines Bluts in den Ohren.
Sarah und Mia müssen es geschafft haben, also kann ich das auch.
Ich stecke die Taschenlampe wieder in den Mund, dränge weiter und jage auf Händen und Füßen durch das eisige Wasser. Der Lichtstrahl wandert umher, während ich krieche, und springt wie verrückt über die Felswand neben meinem Gesicht. Auf diese Weise wirkt der ganze Ort noch enger. Der Strahl erfasst nur ein kleines Stück Felsfläche von höchstens einem Meter Durchmesser und außen herum noch ein schwächer erhelltes Stück. Alles andere wirkt umso schwärzer, fast so, als ob es gar nicht existiert. Ein paar Minuten später ist plötzlich der helle Kreis nicht mehr dicht an meinem Ohr, sondern weiter rechts von mir und erfasst diese merkwürdigen Formen, die wie Zähne aus dem Boden sprießen. Noch immer auf Händen und Füßen, fasse ich nach der Taschenlampe und leuchte umher. Die Decke ist fünf oder sechs Meter hoch und auch dort sehe ich Zähne. Sie wachsen nach unten.
»Heilige Scheiße!«
Einen Moment lang spielt mir mein Kopf einen Streich. Ich bin in einem riesigen Maul und der Kiefer schließt sich. Ich versuche die Taschenlampe ruhig zu halten und richte den Schein auf eine dieser unheimlichen Formen. Sie bewegt sich nicht. Das hier ist eine Höhle, kein Maul, und ich muss hier unbedingt raus.
Ich richte mich auf, froh, aus dem Wasser zu kommen. Hier in der gewaltigen Höhle kriege ich wieder
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