Den Tod im Griffl - Numbers 3
Luft. Meine Brust hebt sich, als ich die Luft einatme. Irgendetwas ist jetzt anders, nicht nur die Weite. Ich schmecke Rauch auf der Zunge.
Als ich aufrecht stehe und durchatme, kann ich auch wieder laufen. Wo geht es weiter? An der Wand ist eine weiße Markierung. Ich laufe los, obwohl mich der Schmerz in den Knien umbringt. Das hier muss der Weg sein. Es ist offenbar nicht mehr weit.
Und tatsächlich. Licht schimmert durch einen offenen Eingang. Ich renne hinauf und stürze wieder zurück in die wirkliche Welt.
Vor mir am Boden liegt ein Eisentor, so als ob es jemand von innen aufgedrückt und dann mit den Füßen in den Boden gestampft hätte.
Schwer zu sagen, wo ich bin. Es ist neblig – ein kalter, alles durchdringender Nebel. Rings um den Ausgang des Tunnels ist überall Brombeergestrüpp, dahinter folgt eine Wiese, ein Hang. Gerade so eben erkenne ich unten noch einige Formen – Gebäude, eine Stadt. Und drei Fußspuren führen durch den Tau hinab: zwei folgen einer geraden Linie, eine, von kleinen Füßen gebildet, verläuft über die ganze Wiese.
Sarah und Mia haben es nach draußen geschafft.
Aber Saul ist dicht hinter ihnen.
Ich renne los, den Hügel hinunter.
SARAH
»Mia! Mia!«
Meine Stimme wandert in den Nebel hinaus, der sie dämpft, verschlingt, auslöscht.
Es kommt keine Antwort zurück. Hat sie mich nicht gehört oder will sie mit mir spielen?
Ich schiebe das Tor auf, wanke hinein und mache mich auf den Weg, den Mia genommen haben muss. Die ersten paar Meter ist alles nur Kies, Bäume und Gras.
Dann tauchen andere Formen zwischen den Baumstämmen auf, schwarzgraue Rechtecke. Grabsteine. Eine Gestalt ragt aus dem Nebel hervor, ein riesiger Vogel oder so etwas Ähnliches. Im ersten Moment erkenne ich nicht, was es ist, dann, als ich näher komme, sehe ich, dass es kein Tier ist, überhaupt nichts Lebendiges. Es ist eine geflügelte Figur, ein Engel auf einem Sockel.
Ich muss Mia finden und ich muss sie hier rausholen.
Der Kies knirscht unter meinen Füßen, ich verlasse den Weg und laufe zwischen Gräbern entlang, um sie herum und drüber hinweg.
Ich denke an das Lager, durch das wir eben gekommen sind, an den Dreck dort. Hier werden die meisten der Menschen bald enden. Wie viele liegen hier schon begraben? Lauern ihre Krankheiten bereits unter dem Rasen? Hängen sie schon in den Nebeltropfen, die ich jetzt einatme?
»Mia!«
Ich wirble herum. Überall das Gleiche. Schwarz und Grau. Steine und Bäume.
Der Weg führt aufwärts. Ich keuche. Der Nebel sitzt mir in Kehle und Lunge. Es scheint, als ob die Luft nicht genug Sauerstoff hat. O Gott, wo ist Mia? Ich schaff das nicht. Ich bin zu schwer, zu langsam, zu müde.
Weiter vorn sehe ich eine Bewegung. Etwas springt hinter einen Grabstein.
»Mia, ich seh dich. Bleib da. Ich komme.«
Ich schleppe mich den Hang hinauf, doch als ich den Stein erreiche, ist sie nicht da. Etwas Niedriges, Dunkles zuckt vor mir zurück, einen Augenblick sichtbar, dann ist es schon zwischen den Gräbern verschwunden. Schnell und stumm. Eine Ratte.
»Mia! Mia, bitte, ich habe Angst! Wo bist du?«
Weiter unten, den Weg hinab, den ich gekommen bin, bewegt sich etwas im Nebel. War sie die ganze Zeit dort unten? Bin ich an ihr vorbeigelaufen?
»Mia?«
Die Gestalt verschwindet wieder, tief in der Hocke, geduckt hinter einem Baum. Dann höre ich eine dünne Stimme.
»Ich bin hier, Mummy.«
Hell. Wie von einem Kind.
»Mia?«
Mein von Hormonen vernebeltes Gehirn registriert ein Kind, das seine Mum braucht. Es könnte Mia sein. Ich will, dass es Mia ist.
»Mia?«
»Mum-my.« Zweitönig, singsanghaft. Ein Kind ruft nach seiner Mutter.
»Ich bin hier. Ich komme.«
Ich bin nahe an der Stelle, an der ich etwas gesehen habe. Die Gestalt war zu groß für eine Ratte. Ich schaue nach rechts und links. Wasser tropft von den Ästen auf meinen Kopf. Ein Tropfen läuft mir den Nacken hinunter, ich zittere.
»Wo bist du?«, rufe ich.
Keine Antwort diesmal, aber irgendein Schlurfen hinter einem Grabstein vor mir zu meiner Rechten. Ich gehe drauf zu, langsam, setze die Füße vorsichtig auf, um ja kein Geräusch zu machen. Ich erreiche den Stein. Da ist jemand, zwei Füße ragen hervor, größer als Kinderfüße, in schweren Lederstiefeln.
Noch ein Schritt und ich sehe es. Jemand sitzt am Boden, mit dem Rücken zum Stein, die Knie an den Körper gezogen.
Das ist kein Kind.
Das ist ein Mann.
Er wendet den Kopf und sieht mich an. Seine Augen wirken leuchtender,
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