Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Den Toten dienen

Den Toten dienen

Titel: Den Toten dienen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Delrio
Vom Netzwerk:
vorangeschritten und durch die Fenster der Suite im >Gospodin Manuel O'Kelly< flutete das Sonnenlicht. Jonah Levin blickte hinaus über die Stadt und die wogende Ebene jenseits der Häuser. Die Aussicht wirkte friedlich genug, und an den hohen Fahnenstangen vor dem Hotel wehten die Banner der Mitgliedswelten der Republik der Sphäre.
    Er drehte sich um und trat an die Kommkonsole. Er hatte noch einige Gespräche vor sich, bevor er nach Genf flog. Doch als er sich vom Fenster abwandte, konnte er sich der Frage nicht erwehren, wie viele dieser Banner in einem Jahr wohl nicht mehr dort draußen hängen würden.
    Pension Flambarci, 14 Rue Simon-Durand, Genf, Terra Präfektur X, Republik der Sphäre
    März 3134, Winter
    Im Winter und selbst zum Frühlingsanfang besuchte Jonah Levin die terranische Hauptstadt nur ungern. Bei dem kalten Wetter schmerzte das Narbengewebe über den alten Wunden, und längst verheilte Knochenbrüche erinnerten ihn an jede einzelne Verletzung.
    Die meisten Erinnerungen stammten aus der verzweifelten Schlacht, die ihn fast das Leben gekostet hätte und ihm den nie gesuchten Ruhm und viel Ehre eingebracht hatte. Im Laufe der Jahre aber hatte er hier und dort auch noch andere Wunden eingesteckt. Das Leben eines Ritters der Sphäre war nicht von Ruhe und Frieden geprägt, ganz gleich, wie sehr er sich genau darum bemühte. Das war ein weiterer Grund, warum ihn Anna so ungern ziehen ließ, auch wenn sie es nicht aussprach. Sie hatte jedes Mal Angst, ihn das nächste Mal bei einem Krankenhausbesuch zu sehen.
    Mehr als einmal hatte Jonah angeboten, sich eine andere Arbeit zu suchen, die ungefährlicher war. Doch wirklich stand er hinter diesem Angebot nie, und Anna wusste das. Dazu gefiel es ihm zu sehr, wie ein Ritter direkt eingreifen konnte, um Missstände zu beheben und das Recht durchzusetzen, wo es notwendig war, statt unterwürfig einen Antrag bei irgendeinem Bürohengst machen zu müssen, der die nötige Hilfe leistete oder auch verweigerte, je nachdem, wie es in die politischen Absichten passte.
    Die Herrscher der Republik hatten die besten Absichten. Es waren Männer und Frauen mit hohen Idealen - jedenfalls zum größten Teil. Aber die meisten von ihnen lebten in einer völlig anderen Sphäre als die Menschen, deren Leben sie manchmal im Dienste der Regierung opferten.
    Wie üblich nutzte die Stimme seines Gewissens (die zu den Zeiten, in denen sich Jonah nicht zu Hause aufhielt, starke Ähnlichkeit mit der Annas hatte) diese Gelegenheit, um ihn daran zu erinnern, dass die Herrscher der Republik kein >sie< mehr für ihn waren, sondern ein >wir<. Jonah Levin war ebenso ein Paladin - einer der siebzehn Männer und Frauen, die die Republik regierten und aus deren Reihen der nächste Exarch gewählt werden würde, ob es nun Heather GioAvanti war oder Victor Steiner-Davion.
    Deswegen mochte er aber trotzdem keinen Eisregen oder Schnee, oder auch nur strahlend helle, frostklirrende Tage wie diesen, an denen der Himmel in intensivem und gnadenlosem Blau erstrahlte und ihn das Sonnenlicht auf dem Genfer See blendete, ohne Wärme zu spenden. Er hatte gewusst, was ihn erwartete. Er hatte entsprechende Kleidung eingepackt und auf der langen Raumreise die Klimakontrollen in seiner Landungsschiffskabine entsprechend justiert.
    Trotzdem fror er, an Zehen und Fingern, an Nase und Ohren. Er war froh, die kleine Pension in der Rue Simon-Durand zu erreichen, die seine bevorzugte Adresse in Genf war, seit er zum Ritter geschlagen wurde und sich gezwungen sah, der Hauptstadt der Republik regelmäßig Besuche abzustatten.
    Er trat durch die Eingangstür in die kleine Empfangshalle, die von einer Zentralheizung und der psychologischen Wirkung lodernder simulierter Holzscheite im kleinen Kamin gewärmt wurde. Das knisternde Feuer bestand nur aus entsprechend geformten keramischen Heizelementen und einem speziellen Trividschirm - um die Luft über der Stadt rein zu halten, waren echte Holzfeuer verboten. Die Nachbildung aber war ausgezeichnet. Jonah widerstand der Versuchung, sich an den Kamin zu stellen und seine Hände zu wärmen, bis sie wieder normale Körpertemperatur erreicht hatten, und ging stattdes-sen geradewegs zur Rezeption.
    Madame Flambard stand selbst am Empfang. Ein Lächeln trat auf das Gesicht der fülligen, grauhaarigen Dame, als sie ihn sah.
    »Monsieur Jonah... das heißt, Paladin Levin! Wir sind geehrt, Sie wieder bei uns begrüßen zu dürfen.«
    Jonah konnte nicht anders, als das Lächeln

Weitere Kostenlose Bücher