Den Toten dienen
mit unerprobter Infanterie den Red-Ledge-Pass für sechsunddreißig Stunden gehalten, und als Soldatin wusste sie, welche Leistung letztlich schwerer wog. Stattdessen zwang sie sich, ihre Aufmerksamkeit auf die aktuelle Situation zu konzentrieren. »Die Unterlagen, die ich Ihnen zukommen ließ, beschreiben die Ereignisse während des zweiten, kürzer zurückliegenden Angriffs.«
Der Exarch betrachtete sie mit regloser Miene. »In diesem Büro sind keine derartigen Unterlagen eingetroffen.«
»Aber...« Sie unterbrach sich und setzte noch einmal an. »Ich habe einen Kurier geschickt. Weil ich wusste, dass es Zeit kosten würde, eine Entsatzstreitmacht aufzustellen. Und die Warnung war zu wichtig, um sie aufzuschieben.«
Redburn schüttelte den Kopf. »Hier ist kein Kurier eingetroffen. Und Paladin Ezekiel Crow hat uns etwas grundlegend anderes erzählt als das, was in Ihrer Botschaft aus dem Landungsschiff stand.«
Tara spürte, wie ihr flau wurde. Das war übel. Das war schlimmer als übel. Offenbar hatte Crow sie nicht nur einmal verraten, sondern sogar zweimal. »Was genau hat er denn gesagt?«
Redburns Gesichtsausdruck war ernst, beinahe traurig. »Laut Paladin Crow haben Anastasia Kerensky und die Stahlwölfe Sie besiegt, und Sie haben ihnen die Kapitulation angeboten.«
»Was?« Der Schock brannte in ihrer Kehle wie Galle.
»Teil der Kapitulationsbedingungen soll die Übergabe Northwinds und der Highlander-Regimenter an die Wölfe gewesen sein.«
Wut verdrängte den Schock und spülte ihn in einer gewaltigen, ungläubigen Adrenalinwoge davon. Jetzt verstand sie, wie jemand in einem Wutanfall den Befehl geben konnte, eine ganze Stadt niederzubrennen.
Sie verschluckte die Wut, rang sie nieder und hielt ihre Stimme mit Mühe leise und fest. »Exarch Redburn, Ezekiel Crow hat Sie belogen.«
Redburns Miene verriet nichts. »Offensichtlich ist eine der beiden Darstellungen eine Lüge.«
»Gestatten Sie mir wenigstens, Vorbereitungen für die Unterstützung Terras bei der Abwehr des bevorstehenden Wolf-Angriffs zu treffen.« Ihr war bewusst, dass sie bettelte. Die Erkenntnis machte sie noch wütender. »Ich habe meine Highlanders nicht den ganzen Weg von Northwind hierher nach Terra gebracht, um untätig zuzusehen, wie Anastasia Kerensky mit den Stahlwölfen über Sie herfällt!«
»K ann sein«, erwiderte Redburn unerbittlich. »Aber ich kann das Risiko nicht eingehen, dass Sie möglicherweise nicht hier sind, um den Stahlwölfen Widerstand zu leisten, sondern vielmehr als Vorauskommando. Nicht, ohne mich auf mehr als Ihr unbestätigtes Wort stützen zu können.«
Tara stand jäh auf und stieß den Stuhl so fest zurück, dass er umkippte. Dann ließ sie ihn auf dem Teppich liegen.
»Na schön, Exarch. Ich fliege zurück an den Ort, an dem sie uns abgestellt haben, und warte, bis Sie die Beweise beisammen haben, die Sie brauchen.«
Sie stampfte zur Bürotür, dann hielt sie noch einmal an. »Aber ko mm en Sie sich nicht bei mir ausweinen, dass ich Sie nicht gewarnt hätte.«
Sie drehte sich um und ging. Tara schloss die Bürotür mit Präzision. Fast war sie schon aus dem Vorzimmer, als Redburns Verwaltungsassistentin sie stoppte und ihr eine Visitenkarte reichte.
»Ich wurde, während Sie beim Exarchen waren, gebeten, Ihnen dies hier zu geben.«
Tara schaute sich die Karte an. Es war eine einfache weiße Pappkarte, ohne ID-Codes oder sonstige
Besonderheiten. Nur ein paar Zeilen schwarzer Text in einem einfachen, altmodischen Rahmen:
J onah L evin P ension F lambard 14 R ue S imon -D urand G enf
Darunter stand handschriftlich:
Bitte besuchen Sie mich hier, so bald Sie können. -J. L.
Pension Flambarci, 14 Rue Simon-Durand, Genf, Terra Präfektur X, Republik der Sphäre
März 3134, Winter
Jonah Levin brauchte nicht lange im Salon der Pension Flambarci zu warten, bis er die Eingangstür hörte, gefolgt von Tara Campbells schnellem, leichtem Schritt im Foyer. Madame Flambards Augen weiteten sich, als sie die Besucherin erkannte. Die Countess of Northwind war ein zu großer Liebling der Medien in der Republik, um irgendwo unerkannt zu bleiben. Aber die Diskretion der Wirtin blieb so unbeugsam wie immer. Es gab mehr als einen Grund, warum der junge Jonah Levin die Unterkunft in dieser Pension anderen, vielleicht modischeren oder luxuriöseren Quartieren vorgezogen hatte.
Madame führte die Gräfin in den Salon, dann verschwand sie in den hinteren Räumen der Pension. Jonah hatte den Verdacht, dass
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