Den Toten dienen
Opa.«
Jonah hob die Hände. Aus dem Augenwinkel sah er von rechts einen zweiten Mann auftauchen, und schlurfende Schritte verrieten ihm, dass sich auch noch ein dritter von hinten näherte.
»Da rüber.« Der Mann mit der Pistole deutete auf eine nahe Gasse.
»Sie war nicht in seinem Zimmer«, sagte der Mann hinter Jonah. »Er muss sie...«
»Halt's Maul«, unterbrach ihn der Pistolenträger, und der Mann verstummte.
Also keine einfachen Straßenräuber, dachte der Paladin und bereitete sich darauf vor, Widerstand zu leisten. Der kleine Geldbetrag in seinem Portemonnaie hätte es nicht gelohnt, die Stille der Nacht durch Gewaltanwendung zu stören. Aber die Datendisk in der Innentasche seiner Jacke schon.
Er drehte sich zu der Gasse um. Sobald er dem Bewaffneten die Seite zukehrte und so das kleinstmögliche Ziel bot, griff er mit der linken Hand zu, packte den Ärmel des Mannes und zog.
Gleichzeitig warf er sich gegen den Mann und rammte sein Bein in dessen Knie. Das Kniegelenk bot erst Widerstand, dann brach es unter dem Druck mit hörbarem Krachen. Der Mann grunzte vor Schmerz und ließ die Waffe los. Jonah nahm sie ihm ab.
Er hatte nicht vor, die Pistole abzufeuern. In der Dunkelheit und Verwirrung konnte er nicht erkennen, um welchen Typ es sich handelte, in welchem Zustand sie war, oder auch nur, ob sie überhaupt geladen war. Stattdessen warf er sie, so hart er konnte, gegen die Brust des Mannes rechts von ihm - der jetzt, nach Levins Rechtsdrehung und dem Zusammenbruch seines Kumpels, vor ihm stand.
Der Mann wich dem Wurfgeschoss seitlich aus. Jonah sah seinen Angreifer aus dem Gleichgewicht gebracht und verwirrt, weil seine Pläne - wie auch immer sie ausgesehen hatten - zerplatzten, und nutzte die Gelegenheit.
Er sprang nach vorne und rammte dem Mann den Handballen gegen das Kinn. Sein Gegner brach zusammen.
Etwas bewegte sich in Jonahs Augenwinkel. Es war der Mann, der von hinten gekommen war und jetzt rechts von ihm stand. Er hob den Arm und hielt eine eigene Feuerwaffe. Bevor sich Jonah bewegen oder reagieren konnte, knallte ein Schuss.
Jonah machte sich auf den brennenden Schmerz des Einschlags gefasst. Er kam nicht. Stattdessen senkte der Schütze den Arm, sank auf die Knie und kippte vornüber aufs Pflaster.
»Guten Abend, Paladin«, sagte Burton Horn. Der ehemalige TerraPost-Bote trat aus dem Schatten und steckte seine Waffe wieder ein. »Die Countess of Northwind lässt Sie grüßen und bat mich, Sie davon in Kenntnis zu setzen, dass sie so bald wie möglich unter vier Augen mit Ihnen über Ezekiel Crow sprechen möchte.«
»Dann sollte ich mich bei ihr für Ihr rechtzeitiges Erscheinen bedanken.« Jonah dachte nicht daran, sich von Horn ausstechen zu lassen, was gelassenes Auftreten betraf, auch wenn die Stimme der Vernunft
- die, wie so oft, sehr stark nach Anna klang - ihm die Dummheit dieser Reaktion vorhielt. »Kennen Sie diese Männer?«
»Es war vor nicht allzu langer Zeit in Belgorod.
Sie probierten Hüte an. Meine Kontakte sagen, sie arbeiten für Alexej Suworow.« Er betrachtete die drei toten oder bewusstlosen Männer. »Ich würde vermuten, ein paar seiner verzichtbaren Talente. Jedenfalls nicht in Ihrer Gewichtsklasse.«
»Ich weiß nicht. Hätten Sie den Letzten nicht aufgehalten, wäre ich jetzt tot.«
»Vielleicht«, antwortete Horn. »Sie machten allerdings nicht den Eindruck, aufgeben zu wollen.«
»Wenn Sie das sagen. Aber ich wurde schon einmal angeschossen, und Sie dürfen mir glauben, dass das keine Erfahrung ist, die durch Wiederholung an Reiz gewinnt.« Jonah schaute auf seine Angreifer hinab. Der mit dem gebrochenen Knie stöhnte und wand sich schwach. »Suworow haben Sie gesagt. Sollte ich mit diesem Namen etwas anfangen können?«
»Wohl kaum«, erwiderte Horn. »Aber ich habe den Verdacht, dass jemand in Ihrem Bekanntenkreis den Namen recht gut kennt. Und gerade jetzt sollten wir uns vermutlich besser irgendwo anders aufhalten, da die Polizei bald eintrifft und unbequeme Fragen stellt.«
Hotel >Duquesne<, Genf, Terra Präfektur X, Republik der Sphäre
April 3134, Frühling
Bei ihrem letzten Aufenthalt im Hotel >Duquesne< war Tara Campbell fünf Jahre alt gewesen und mit ihrer Mutter, der Senatorin, unterwegs. In ihrer Erinnerung waren die Marmorsäulen in der Empfangshalle sehr viel größer, wie steinerne Bäume, die den Himmel trugen, und der Portier war eine riesenhafte, gottgleiche Gestalt mit goldbestickter Uniform und einem majestätischen
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