Denkanstöße 2013
Nobelpreis-geschmückter Mediziner am Scripps Research Institute in Kalifornien, die Angelegenheit noch komplizierter. Er unterschied zwei Arten von Bewusstsein: Primärbewusstsein und Sekundärbewusstsein. Primärbewusstsein ist Bewusstsein in seiner einfachsten Form, der Zusammenfluss von Gefühlen und sinnlichen Wahrnehmungen zu einem Erleben â »einfach Sein, Fühlen, FlieÃen«, beschreibt es die Psychologin Ursula Voss von der Universität Frankfurt am Main. Primärbewusstsein ist nichts, was den Menschen auszeichnet, denn auch Tiere haben es. Aber das Bewusstsein von Menschen ist reicher. Es bezieht sich nämlich auch auf sich selbst. Wir sind uns bewusst, dass wir bewusst sind. So können wir unsere Gefühle und Handlungen reflektieren und, zumindest oft, durchdacht handeln und urteilen. Damit haben wir das, was Edelman Sekundärbewusstsein nennt. Vermutlich als einzige Lebewesen auf der Erde.
Träumen ist bewusstes Erleben. Das Primärbewusstsein bleibt. Doch seines Zustands ist das schlafende Ich sich selten bewusst. Das Sekundärbewusstsein geht also verloren. Der meisten Träume werden wir uns erst beim Erwachen bewusst. Der Bewusstseinsschalter hat also eine dritte Stellung zwischen an und aus. Träumen liegt im Grad des Bewusstseins zwischen Wachen und Tiefschlaf. Beim Klarträumen liegt der Schalter noch ein Stück weiter Richtung Wachen. Denn hierbei schaltet sich das Sekundärbewusstsein zu.
Die meisten Klarträume kommen am frühen Morgen, fast immer in einer REM-Phase. Der Schläfer »erwacht« aus einem normalen REM-Traum in einen Klartraum. Was dabei im Gehirn geschieht, war lange umstritten unter Experten. Stephen LaBerge verficht die These, dass das Gehirn im Klartraum nicht wesentlich anders funktioniert als im normalen REM-Traum â der Sprung in den Klartraum ist psychologisch, nicht physiologisch. Dagegen glaubt Allan Hobson, dass beim Klarträumen ein radikal anderer Hirnzustand gegeben ist als beim altbekannten REM-Träumen.
Schon die Messung der Hirnfunktion im normalen Traum ist schwierig. Im Klartraum ist es ein wahres Kunststück, das erst wenigen Forschern gelungen ist. Nach dem, was bis jetzt bekannt ist, liegt die Wahrheit in der Mitte zwischen Hobson und LaBerge. Das Gehirn arbeitet weiter wie zuvor, auch das Elektromyogramm, das die Muskelspannung misst, bleibt komplett still. Aber es kommt noch etwas hinzu. »In Klarträumen erwacht der präfrontale Cortex «, sagt die Psychologin Ursula Voss, die die Köpfe von Klarträumern mit Elektroden verkabelt und erstmals gemessen hat, was darin geschieht. »Sonst sind die Aktivitätsmuster ziemlich die gleichen wie in normalen REM-Träumen.« Damit bestätigt Voss eine alte Vermutung der Hirnforscher: Der präfrontale Cortex steuert viele Schlüsseleigenschaften des Bewusstseins, darunter Aufmerksamkeit, Entscheiden und willentliches Handeln. Er ist verantwortlich für das höherstufige Bewusstsein, das sich selbst, seine Wahrnehmungen, Gefühle und Gedanken reflektieren kann. Kurz gesagt: für den Realitätssinn.
Als Nächstes plant Voss die Gegenprobe: Sie will in normalen REM-Phasen den präfrontalen Cortex mit elektrischer Stimulation »wecken«, um so Klarträume zu erzeugen. Das könnte groÃe therapeutische Bedeutung haben. Denn bei Menschen, die an einer Psychose leiden, funktioniert der präfrontale Cortex auch im Wachen nicht richtig. Schon lange kennen Psychologen die Parallelen zwischen Psychosen und Träumen: Psychotiker können nicht zwischen der AuÃenwelt und ihrer Einbildung unterscheiden, der Bezug zur Realität geht ihnen verloren. Das Vossâsche Verfahren könnte den präfrontalen Cortex von Psychotikern stimulieren und ihnen so den Realitätssinn wiedergeben. Jeder Klartraum ist sozusagen eine Spontanheilung von der allnächtlichen Traumpsychose.
Im luziden Traum lebt viel von der Hirnfunktion auf, die wir sonst nur im Wachen haben. Nur ist das Bewusstsein komplett in sich gekehrt. Der Physiker Michael Czisch vom Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie hat den Ãbergang vom normalen Traum in den Klartraum live im Kernspintomografen (fMRI) eingefangen. »Das ist die einzige Möglichkeit, einen Ãbergang von einem basalen zu einem höheren Bewusstseinszustand unter kontrollierten Bedingungen zu messen«, sagt Czisch. »Im Wachen kann man
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