Denkanstöße 2013
»RückstoÃ-Effekt«: Menschen, die sich bemühen, an etwas nicht zu denken, denken erst recht daran. Wegner hatte die Idee, diesen Effekt zu nutzen, um Träume zu verändern. Er gab Probanden die Aufgabe, vor dem Schlafengehen an eine Person zu denken, die sie besonders anziehend finden. Die eine Hälfte der Probanden sollte dann fünf Minuten damit verbringen, fest an diese Person zu denken. Die andere Hälfte sollte fünf Minuten lang vermeiden, an diese Person zu denken. Am nächsten Morgen fragte Wegner sie nach ihren Träumen. Jene Probanden, die versucht hatten, nicht an ihre begehrte Person zu denken, träumten doppelt so oft von ihr. Die Lehre daraus: Wer von jemand bestimmtem träumen will, sollte sich vor dem Einschlafen bemühen, allen Gedanken an diese Person auszuweichen. Im Traum leben die Gedanken auf, die wir im Wachen unterdrücken â davon hätte Freud sich bestätigt fühlen dürfen.
Im Sommer 2010 machte ein auÃergewöhnlicher Film weltweit Furore in den Kinos: Inception mit Leonardo DiCaprio, der den Extractor Dominic Cobb spielt. Extractors, das sind Traumfänger, professionelle Einbrecher, sie dringen ins schlafende Bewusstsein ihrer Opfer ein, um deren Geheimnisse auszuspionieren. Damit brechen sie den intimsten Bereich des Menschen auf: unsere Träume.
Das klingt wie pures Hollywood-Gespinst, aber tatsächlich unternehmen Forscher erste Versuche, um Extraktion Wirklichkeit werden zu lassen. Dabei spielen Klarträume eine wichtige Rolle. Denn Klarträumern kann man vorher sagen, was sie träumen sollen. So haben die Forscher kontrollierte Versuchsbedingungen, in denen sie ihre Methoden der Traumextraktion testen und verfeinern können.
Als die Forscher um Michael Czisch am Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie einmal einen Klarträumer im fMRI liegen hatten, kündigte er ihnen mit Augenbewegungen an, dass er gleich im Traum eine Hand zur Faust ballen würde â er verriet aber nicht, welche Hand. Die Wissenschaftler konnten am Hirnscan unterscheiden, welche Hand er gerade ballte. Das ist Traumfangen in einem sehr speziellen Fall. Die Chancen stehen gut, dass die Forscher bald genauer aus dem Muster der Gehirnaktivität lesen können, wovon das Gehirn gerade träumt. Klarträume weisen den Forschern dabei den Weg, weil sie eine Brücke zwischen Traumwelt und Wachwelt schlagen. Die Klarträumer können über Augenbewegungen mit den Experimentatoren kommunizieren.
Dominic Cobb, die Hauptfigur von Inception , ist natürlich kein Traumfänger wie jeder andere. Er bemüht sich nicht nur um Extraction, sondern auch um Inception: die Implantation von Gedanken im Schlaf. Das versuchen die Forscher bisher noch nicht. Mag sein, dass wir unsere Träume demnächst nicht mehr ganz für uns haben, aber es liegt immer noch an uns, was wir träumen.
Aufwachen. Die Wirklichkeit dringt in die Traumwelt
Paris, 17. März 1943: Die französische Hauptstadt ist besetzt von der deutschen Wehrmacht, die sechs Wochen zuvor die Schlacht um Stalingrad verloren hat â der Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs. Hier ist die bevorstehende Niederlage seltsam unwirklich. Die Atmosphäre in der Stadt ist ruhig und friedlich, und doch weià jeder, dass das Kriegsende naht.
Ernst Jünger, Hauptmann und Schriftsteller, arbeitet im Stab von General Carl-Heinrich von Stülpnagel, dem Militärbefehlshaber des französischen Besatzungsgebiets. In seinem Zweiten Pariser Tagebuch beschreibt Jünger, wie er die Zeit mit Spaziergängen, Tischgesellschaften, Schachspielen und Frauengeschichten verbringt. An diesem Morgen liegt er in seinem Bett, noch halb schlafend, schon halb wach. Plötzlich geht ein Schütteln durch seinen Körper, das Jünger als Startsignal für ein »Doppelspiel der Bilder- und Gedankenwelt« kennt, in dem die Bilder, die sonst »in der Gedankenflut dahinrollen«, die Oberhand gewinnen. Je weiter Jünger in den Schlaf zurückdämmert, desto stärker dominiert das Bildhafte. Mit dem Erwachen übernimmt wieder die Logik das Regiment über seine Gedanken.
Der Dämmerzustand zwischen Schlafen und Wachen, in dem Jünger jenen Morgen verbrachte, heiÃt Hypnopompie . Jünger selbst kannte das Wort nicht. Man hört es auch selten. Der englische Dichter und Seelenforscher Frederic Myers, ein Wegbereiter William Jamesâ und
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