Denken hilft zwar, nutzt aber nichts
nächstenTag einen roten Stift für die Schule. »Könntest du einen mitbringen?« Wie unangenehm wäre es für Sie, für Ihre Tochter einen roten Stift aus der Arbeit mitgehen zu lassen? Sehr unangenehm? Ein bisschen unangenehm? Absolut in Ordnung?
Lassen Sie mich Ihnen noch eine andere Frage stellen. Nehmen wir einmal an, es gibt keine roten Stifte an Ihrer Arbeitsstelle, aber Sie können unten einen für zehn Cent kaufen. Die Portokasse in Ihrem Büro steht offen, und niemand ist in der Nähe. Nehmen wir weiter an, Sie hätten kein Kleingeld bei sich. Würden Sie zehn Cent für den Stift herausnehmen? Würden Sie sich dabei wohl fühlen? Wäre das in Ordnung?
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich selbst fände es relativ leicht, einen roten Stift aus der Arbeit mitzunehmen, während es mir äußerst schwerfallen würde, das Geld aus der Kasse zu nehmen. (Zum Glück bin ich noch nie mit diesem Problem konfrontiert worden, da meine Tochter noch nicht zur Schule geht.)
Wie sich herausstellte, war es bei den MIT-Studenten ähnlich. Ich erwähnte bereits, dass die Cola-Dosen binnen 72 Stunden allesamt verschwunden waren. Ganz anders beim Geld! Die Teller mit den Dollarscheinen blieben 72 Stunden lang unangetastet, also bis ich sie wieder an mich nahm.
Was war hier geschehen?
Wenn wir uns so in unserer Welt umsehen, hat ein Großteil der Unehrlichkeit mit Betrügereien zu tun, die nur indirekt mit Geld zusammenhängen. Unternehmen betrügen bei ihren Bilanzen, Führungskräfte betrügen, indem sie rückdatierte Aktienoptionen wahrnehmen; Lobbyisten betrügen, indem sie Wahlpartys für Politiker ausrichten; Pharmaunternehmen betrügen, indem sie Ärzten und ihren Frauen Luxusurlaube finanzieren.
Sicher, all diese Leute betrügen nicht mit schnödem Geld(außer gelegentlich). Und genau darum geht es mir: Betrügen ist viel leichter, wenn Geld nicht direkt im Spiel ist.
Glauben Sie, dass die für den Zusammenbruch von Enron Verantwortlichen – Kenneth Lay, Jeffrey Skilling und Andrew Fastow – alten Frauen Geld aus dem Portemonnaie gestohlen hätten? Sie raubten jedoch einer Menge alter Frauen Millionen Dollar in Form von Rentengeldern. Aber glauben Sie, sie hätten auch eine Frau mit einem Totschläger niedergestreckt und ihr Geld abgenommen? Vielleicht sind Sie anderer Meinung, aber ich neige dazu, diese Frage zu verneinen.
Was also erlaubt uns zu betrügen, wenn es um nicht unmittelbar monetäre Objekte geht, und was hält uns zurück, wenn es um Geld geht? Wie funktioniert dieser irrationale Impuls?
Da wir daran gewöhnt sind, unsere kleinen Schwindeleien zu rationalisieren, ist es häufig schwierig, sich ein klares Bild zu verschaffen, in welcher Weise nicht monetäre Objekte unsere Betrügereien beeinflussen. Wenn wir beispielsweise einen Bleistift entwenden, reden wir uns vielleicht ein, Büroartikel seien Teil unserer Gesamtentlohnung oder jeder lasse mal einen oder zwei Bleistifte mitgehen. Vielleicht sagen wir uns, hin und wieder eine Dose Cola aus dem Gemeinschaftskühlschrank zu stibitzen sei nicht schlimm, weil wir alle schon einmal erlebt haben, dass andere eine Dose Cola von uns genommen haben. Vielleicht glaubten Lay, Skilling und Fastow, es sei nicht so schlimm, die Bilanzen von Enron zu frisieren, da es nur eine vorübergehende Maßnahme sei, die wieder korrigiert werden könne, sobald das Geschäft wieder besser lief. Wer weiß?
Um zur wahren Natur von Unehrlichkeit und Betrug vorzustoßen, mussten wir also ein cleveres Experiment entwickeln, bei dem das fragliche Objekt der Begierde nur wenigeAusflüchte bot. Wir dachten nach. Angenommen, wir verwendeten einen gewöhnlichen Poker-Chip. Das ist kein Geld, aber ebenso wenig ein Produkt wie etwa Cola oder ein Bleistift. Würde er uns Einblick in den Prozess des Betrügens geben? Sicher waren wir uns nicht, aber es schien uns vernünftig. Und so machten wir, Nina, On und ich, einen Versuch.
Es geschah Folgendes: Nachdem die MIT-Studenten in der Mensa zu Mittag gegessen hatten, fragten wir sie, ob sie an einem fünfminütigen Experiment teilnehmen wollten. Sie müssten nur, erklärten wir, zwanzig einfache Rechenaufgaben lösen (zwei Zahlen finden, die zusammen zehn ergeben). Und sie würden 50 Cent für jede richtige Antwort bekommen.
Das Experiment begann jedes Mal gleich, doch dann gab es drei Varianten. Als die Teilnehmer der ersten Gruppe fertig waren, gaben sie ihre Arbeitsblätter dem Versuchsleiter, der ihre richtigen
Weitere Kostenlose Bücher