Denken Sie nicht an einen blauen Elefanten!
andere nicht. Die definierbaren, messbaren Eigenschaften des Goldes gehören zur Wirklichkeit
erster Ordnung. Der Wert des Goldes stellt die Wirklichkeit zweiter Ordnung dar. Dieser ist völlig losgelöst von den physikalischen
Eigenschaften. Er wird ganz |177| allein vom Menschen bestimmt, und der Wert des Edelmetalls hängt so beispielsweise auch von Marktfaktoren wie Angebot und
Nachfrage und dementsprechend von der Knappheit des Rohstoffs ab. Wichtig ist es nun, diese beiden Wirklichkeiten auch tatsächlich
als getrennt voneinander zu betrachten. Das verdeutlicht Watzlawick anhand des Beispiels einer Kurzzeittherapie einer jungen
Frau, die von Konflikten mit ihrer Mutter berichtete. Die Frau sagte am Ende der Behandlung: «So, wie ich die Lage sah, war
es ein Problem; nun sehe ich sie anders, und es ist kein Problem mehr.»
Das, meine verehrte Leserin und mein verehrter Leser, ist die Kraft über die Gedanken, die ich meine. Es hat sich nichts verändert
an der Lebenssituation der Dame. Lediglich die Betrachtungsweise ist eine andere. Klassisches Reframing. Die Wirklichkeit
erster Ordnung bleibt unverändert, die Wirklichkeit zweiter Ordnung nicht. Die neue Sichtweise der Frau ist weder richtiger
noch falscher als die alte. Das bleibt unbewertet. Sie gibt ihr aber die Möglichkeit, die Dinge zu akzeptieren und nicht mehr
darunter zu leiden. Die Welt bleibt gleich, aber eine neue Sicht der Dinge hilft weiterzukommen. Eine eigene Welt entsteht
durch neues Denken.
Paul Watzlawick geht auch auf den von Ernst von Glasersfeld begründeten radikalen Konstruktivismus ein. Die Kernaussage dieser
Philosophieschule lautet, dass die Wahrnehmung nie ein echtes Abbild der Realität liefert. Jede Wahrnehmung der Umwelt ist
daher subjektiv. Und von Glasersfeld geht noch weiter: Nach Auffassung des radikalen Konstruktivismus können wir also nie
wissen, was die Wirklichkeit ist, sondern immer nur, was sie nicht ist. Das zeigt sich nämlich, sobald unsere Konstruktion
der Wirklichkeit zusammenfällt. Hört sich sehr abgefahren an – das ist es auch! Es ist allerdings weitaus einfacher zu verstehen,
als es in diesen paar Zeilen den Eindruck machen könnte. Simpler ausgedrückt bedeutet es, dass wir gut leben können, solange
unsere Auffassungen von der Wirklichkeit |178| funktionieren. Wenn diese Auffassungen aber zusammenfallen, kommt es beispielsweise zu Depression oder – schlimmer – zu Schizophrenie
und Selbstmord. Watzlawick schreibt, dass er sich nicht einbildet, den Menschen, denen er helfen kann, die Wahrheit zu vermitteln.
Er vermittele ihnen lediglich eine andere Konstruktion der Wirklichkeit – eine, die möglicherweise besser passe. Er konstuierte
Wirklichkeiten. Ich hätte ihn wirklich sehr gern kennengelernt … Möglicherweise finden Sie diese Betrachtung befremdlich, vielleicht sogar unsinnig. Ich möchte betonen, dass seine Denkmethode
sich für mich schon oft bewahrheitet und mir sehr geholfen hat, mich zu orientieren und meine Ziele besser zu verfolgen.
Ich finde es merkwürdig, dass die meisten Menschen ganz selbstverständlich nach dem Grundsatz leben, es gäbe eine einzige
objektive Wirklichkeit – nämlich ihre eigene. Dieser Wirklichkeit – so denken viele – seien sich alle bewusst und alle, die
sich nicht auf diese «einzig wahre» Wirklichkeit beziehen, gelten als Spinner oder Verrückte. Diese Art zu denken birgt sehr
viel Konfliktpotenzial in sich. Den Beweis dafür können Sie sofort finden, wenn Sie heute in den
Tagesthemen
die neuesten internationalen Konflikte präsentiert bekommen. Mich hat die Annahme, dass ich Konstrukteur meiner eigenen Wirklichkeit
bin (genau wie Sie übrigens auch, während Sie diese Zeilen lesen), extrem weitergebracht. Falls Sie von nun an annehmen können,
dass Sie Ihre eigene Welt um sich herum schaffen, dass die Welt das ist, wofür Sie sie halten, und andere Menschen sie eventuell
anders sehen, dann hat das entschiedene Vorteile. Erstens: Sie können Ihre Sichtweise dann jederzeit ändern, wenn das für
Sie sinnvoll ist. Das bedeutet, Sie sind frei. Diese Freiheit kann Ihnen niemand nehmen. Zweitens übernehmen Sie mit dieser
Art zu denken Verantwortung. Sie hören auf, anderen die Schuld zu geben für das, was Ihnen widerfährt. Und drittens führt
diese Denkweise zu Toleranz. Schließlich akzeptieren Sie, dass es Wirklichkeiten erster und zweiter Ordnung |179| gibt. Die Auffassungen anderer
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