Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
den Brief meines Freundes Merian zu schicken, den ich nicht missen wollte. Das wirkte endlich — und an einem regneri-schen Frühlingsnachmittag, wo ich mit meiner Tochter und noch einem jungen Mädchen *^^), das ich damals als ein Mittelding zwischen Gesellschafterin und Kammer-jungfer ins Haus genommen hatte, beisammen saß, mel-dete man mir Herrn Körner. Die Mädchen, welche ei-nem Gelehrten nicht gern begegneten, flohen ins an-dere Zimmer, und ließen mich allein den Besuch eines Mannes annehmen, von dessen Dichtergeist ich wohl eine günstige Vorstellung, dafür aber eine geringere von seiner Lebensart überhaupt oder wenigstens von seiner Achtung für mich hatte. Dennoch kam es ganz anders,
und nur selten in meinem langen Leben hatte die erste Stunde des Beisammenseins mit einem vorher ganz'Un-bekannten so schnell alles Fremde von beiden Seiten abgestreift, eine sehr gemütliche Annäherung bewirkt wie zwischen Körner und mir, ungeachtet des großen Unterschiedes im Alter. Er blieb lange, er erzählte mir eine Menge aus seinem Leben, seinen häuslichen Ver-hältnissen; er brachte komische Anekdoten vor, ich mußte herzlich lachen, Körner lachte mit, und die Mädchen im Nebenzimmer verwunderten sich über den seltsamen Besuch, bei dem es so viel zu lachen gab.-
Von nun an war er heimisch bei uns geworden. Er kam oft, er blieb lange bei den kleinen Mädchen in der Alservorstadt, wie er Lotte und Theresen nannte, und sagte später einmal zu einer gemeinschaftlichen Be-kannten, daß auch er bei seinem ersten Besuche gleich so viel Wohlwollen und Vertrauen zu mir empfunden habe, daß er mir alle seine Geheimnisse gesagt haben würde, wenn ich darnach gefragt hätte. Ja, es war eine verwandte Seele, die diesen jungen Mann belebte, und die auch später mich seiner Familie, die im nächsten Sommer nach Wien kam, und sie mir schnell und blei-bend befreundete'^^).
Körner las nun jedesmal seine neuen Schöpfungen^ vor, und mit großem Erstaunen konnte ich die Leich-tigkeit und Sicherheit seiner Arbeiten an dem, von Kor-rekturen reinen Konzepte bemerken, wo oft auf einer ganzen! Folioseite kaum ein Gedanke zurückgenommen oder ein paar Verse gestrichen vy^aren. So floß es ihm aus der reichen Seele, und so strömte es aufs Papier, ob-wohl ich nicht zweifle, daß, hätte er länger gelebt, er manches damals Geschriebene geändert, verbessert — vielleicht manches vertilgt haben würde.
Lebhaft erinnere ich mich der Lesung der Rosa-munde ^®°). Er hatte zu Mittag bei uns gegessen, und las uns nach Tische das Trauerspiel vor, das voll höchst effektreicher Szenen war, und den nicht ganz züchtigen Gegenstand mit einer Zartheit und Rücksicht für seine Geliebte, welcher die Titelrolle bestimmt war, behan-delte, wie sie nur in einem reinen Jünglingsherzen woh-nen konnte. Auch bei diesem Stücke waren oft auf einer Seite kaum drei oder vier Korrekturen — und sowohl meine Mutter als ich ganz erhoben und entzückt von dem Werke. Am andern Tage schrieb ich ihm mütter-lich dankend für die Freude, welche mir gestern nicht bloß sein Dichtertalent, sondern der Bhck in sein schö-nes Gemüt gegeben. Ein allerliebstes Sonett, in dem er mich, wohl etwas zu hoch, als eine Priesterin im Tem-pel des Ruhmes gestellt hatte, erhielt ich dafür ^*^); bewahrte es — es war das einzige Blatt von seiner Hand — als kostbares Andenken, und habe es dennoch nicht mehr! Verloren im eigentlichen Sinn kann ich es nicht haben; denn es hatte seinen angewiesenen Platz bei ähnlichen Gedichten und Briefen an mich; aber wahr-scheinlich wurde es mir abgeborgt unter irgend einem Vorwande, und nicht mehr zurückgegeben oder aus der Sammlung entwendet.
Zriny ^^^) las er bei Frau v. Weissenthurn, mit der ich damals häufiger als jetzt umging, da unsere Töchter*^) sich herzlich gut waren und dutzten. Meine Mutter war ebenfalls gegenwärtig, und wir alle, auch die Mäd-chen hörten mit dem größten Interesse zu; als er an die Szene kam, wo Juranitsch seine Helene ohne weiteres ersticht, schrie meine Mutter auf, und sie sowohl als Frau V. Weissenthurn wollten ihn bereden, die Szene zu ändern, weil dieser kaltblütige Mord gar zu gräßlich,
zu unnatürlich sei, sagte meine Mutter. Unnatürlich ? erwiderte Körner mit seiner Naivität. — Es hat mir ebfen so in der Hand gelegen. Wir mußten alle über diese Antwort lachen; er aber ließ die Szene stehen, und bei der ersten Aufführung, bei der ich zugegen war, be-stätigte sich die
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