Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
(Retzer, Hammer, Hormayr, Collin u. a.) teilnahmen (Bericht vom 8. Februar 1808). Sie selbst verkehrte viel in vornehmen Gesellschaften, beteiligte sich auch an Hof-festlichkeiten, was die Polizei für Zudringlichkeit hielt, konnte sich aber nicht viel Freunde machen, da man an ihr alles für Intrige ansah (Bericht vom 8. Februar 1808), weil sie auch, wie die Polizei meint, „bei ihrem bekannten Geist die Kunst nicht verstehe, die Herzen oder das Zutrauen der Menschen zu ge-winnen" (ebd.). Sie war in Wien gar nicht beliebt, und selbst Unbekannte sprachen an öffentlichen Orten von ihr als einer ver-
haßten Person (ebd.). Die Polizei vermutete auch, daß sie, weil man ihr Spionage nicht nachweisen konnte, den Zweck habe, eine bedeutende Rolle zu spielen, als Gelehrte zu glänzen und deswegen die große Welt um sich versammle (Bericht vom 27. Februar 1808). Vgl. über die Polizeiberichte Alex. Hajdecki, Österreichische Rund-schau II (Wien 1905), S. 225 ff. — Was die Pichler über die Teil-nahme der Frau von Stael an der Enthüllung des Kaiser-Josef-Denkmals sagt, ist nicht richtig, da diese damals nicht in Wien war; vgl. auch einen Brief der Pichler an Streckfuß (Glossy, Wiener Communal-Kalender XXXII, S. 406), worin es heißt, Stael sei seit dem neuen Jahr (1808) in Wien. In diesem Briefe gibt die Pichler auch Nachricht über die unfreundlichen Gerüchte, welche in Wien über Frau von Stael kursieren und die Gründe, welche diese Gerüchte hervorriefen, denn „daß sie Geist hat und ohne Prät«nsion ist, daß sie häßlich ist und doch den meisten Männern gefällt, das können ihr die Weiber — daß sie von Geburt eine Bürgerliche an den Hof geht — die Emigrierten und der Adel nicht verzeihen — und hinc illae lacrymae — sage ich Ihnen ins Ohr, denn laut würde ich als Weib keinen lateinischen Text zitieren" (ebd. S. 4o6f.). Pichler fühlte sich durch das Betragen der Frau v. Stael angezogen und wurde ihr herzlich geneigt (ebd. S. 407). Frau v. Stael verließ Wien am 22. Mai 1808 mit Schlegel und ging über Prag nach Weimar (Hajdecki a. a. O. il, S. 232). — Über Staels Wiener Aufenthalt berichtet diese selbst kurz in „De l'Allemagne" (Paris 1862. S. 43 f., 45 ff.), wobei sie nur die Hoch-zeitsfeierlichkeiten des Kaisers hervorhebt, desto eingehender aber über die Wiener Gesellschaft plaudert. Was Lady Blennerhasset (Frau von Stael III, S. 191 ff.) darüber berichtet, ist nicht sehr eingehend. 520) Über die Corinne der Frau v. Stael: Morgenblatt für ge-bildete Stände I (Tübingen 1807), S. ii53f. und ii57f. (Nr. 289 und 290 vom 3. und 4. Dezember 1807) = S. W.^ XVII, S. 33ff. — Die Stellen, worauf die Pichler anspielt, bringt sie in ihrem Auf-satze selbst (Morgenblatt I, S. 1157= S. W.^ XVII, S. 4if.); sie sind aus Corinne ou i'Italie II (Paris 1807), p. 60 (Il avoit pour eile . . . rassuree par lui) und II, p. 186 (Ah, ne faut-il... et protegees). Die Pichler meint in diesem Aufsatz, und da hat sie sich selbst vor Augen, daß jede Frau ihren Geist ausbilden könne, ohne ihre häuslichen Pflichten zu vernachlässigen und ohne sich über den Mann zu erheben. Außerdem beanstandet sie, daß die Religion bei Corinne als Aberglauben erscheine. HäusUchkeit und ReUgion, die beiden Steckenpferde der Pichler erscheinen also bereits hier. — Über Staels schwächliche Helden äußert sich die Pichler auch sonst, vgl. II, S. 161; Staels Schrei nach Unter-ordnung auch II, S. 311.
521) August Freiherr von Steigentesch (1774—1826), General-major und dramatischer Dichter, war seit seinem fünfzehnten Lebensjahr in österreichischen Kriegsdiensten^ klomm rasch die militärische Stufenleiter hinan und wurde vielfach zu diplomati-schen Sendungen verwendet. 1809 befehligte er ein Wiener Land-wehrbataillon (oben S. 332). Pichler traf ihn wiederholt in Gesell-schaft (oben S. 315; II, S. 219). Als Lustspieldichter wendete er sich gegen die falsche SentimentaÜtät und die Gefühlskarikatur. Vgl. Wurzbach XXXVIII, S. 7ff. und Goedeke V, S. 296.
522) August Wilhelm von Schlegel (1767—1845), ein hannovera-nisches Dichterkind, verdiente sich in Göttingen unter Bürgers Einfluß seine ersten dichterischen Sporen, warf sich aber, selbst nicht besonders produktiv, bald auf die Kritik (vgl. auch oben S. 301). Seit 1796 verheiratet, wohnte er bis 1801 in Jena und führte dann bis 1818, wo er Professor der Literatur in Bonn wurde, ein Wanderleben, das ihn im Gefolge der Frau v. Stael, die er^i8o3 in Weimar
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