Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
aber ebenfalls oft die nö-tige Kritik vermissen und setzt eigentlich zu einer Zeit ein, wo der Glanzpunkt der Wiener Geselligkeit längst vorüber, wo der Salon abgetan und das literarische Kaf-feehaus seine Blütezeit erlebte.
Karoline Pichlers „Denkwürdigkeiten" haben uns heute viel mehr zu sagen als ihren Zeitgenossen. Eine erfahrene, lebenskluge und geistig nicht unbedeutende Frau spricht aus ihnen, die auf ihrer langen Lebensbahn mit aufmerksamem Blick und scharfem Auge sich und die Umgebung scharf musterte und in klaren Bildern das, was sie sah, wiederzugeben und vor unser geistiges Auge hinzuzaubern verstand. Die „Denkwürdigkeiten" sind das einzige Werk, das von den vielen Schriften der einst vielgefeierten und vielgepriesenen Schriftstellerin nicht der Vergessenheit anheimgefallen ist und auch nicht konnte, da sein Inhalt in seiner lauteren Wahrheit und frischen Klarheit unabhängig von jeder Zeitrich-tung und jedem Zeitgeschmack ist und heute noch so unmittelbar wirkt wie zur Zeit seines Entstehens. Je mehr die Zeit über die Dichterin dahinschritt, desto mehr haben die „Denkwürdigkeiten" als Zeugen einer vergangenen Zeit, deren Mitlebende vom Schauplatze des Lebens verschwanden, an Wert gewonnen. Doch immer seltener wird das Buch und immer schwerer wird es für die späteren Geschlechter all die Hindeutungen
\) Th. G. V. Karrajan In: Fontes rerum austriacarum, I. Abt. I. (Wien 1855), S. i ff.
und Anspielungen zu verstehen, so daß es gewiß, eine Notwendigkeit war, dieses für uns bedeutungsvolle Werk einer Neuausgabe zuzuführen. Daß diese kein bloßer Wiederabdruck oder eine Auswahl sein konnte, wie ihn Joh. Eckardt^) und Max MelP) 1912 versuchten, ist klar, da wir bei einem historischen Werk, und ein solches sind doch die „Denkwürdigkeiten" der Pich-1er, verlangen müssen, daß der Herausgeber es nach allen Richtungen klarstelle'). Was die Zeitgenossen, eben weil sie Mitlebende waren, ohne Erklärung ver-standen, das muß für jdie Nachlebenden erläutert werden. Auch hätte die Wahrheitsliebe der Pichler ohne genaue Nachprüfung aller Ereignisse nicht festge-stellt werden können und außerdem galt es, da die „Denkwürdigkeiten" ja die wichtigste und erste Quelle für Pichlers Leben und Dichten sind, durch die Erläu-terungen die Grundlage für die Einzelforschung zu lie-fern. Wenn heute vielfach der Ruf ertönt, man möge des Dichters Wort ohne entstellenden Kommentar selbst sprechen lassen, so mag die Richtigkeit dieser Anschau-ung für ein dichterisches Werk bedingt zugegeben wer-den, falls sie nicht der Deckmantel für Faulheit und be-quemen Honorarerwerb ist, aber bei einem Werk, das
^) Bücherei des österreichischen Volksschriftenvereins, Bd. 6. Brixen 1912. (Es liegt nur der erste Teil mit 128 Seiten vor.)
2) Österreichische Zeiten und Charaktere. Ausgewählte Bruch-stücke aus österreichischen Selbstbiographien. Wien (1912), S. XV f. und 169«.
^) Es ist dem Herausgeber gelungen, bis auf einen verschwindend kleinen Teil alles klarzulegen. Trotz Mithilfe des französischen Kriegsarchivs in Paris konnte aber über die französischen Offiziere Derüe, Guy, Mercier und Trembly nichts gefunden werden, da die Angaben der Pichler über sie zu unbestimmt sind. Ebenso war es unmöglich, Näheres über die Frauen v. Bräunersdorf, van Nuys, Freiin v. Ott und Westenholz, sowie über Prof. Kapp zu erlangen. Nicht aufklärbar war auch II, S. 458: 143,
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nur der Form nach Dichtung sein könnte, sonst aber ein geschichtHches ist, fordert es schon die Rücksicht auf den heutigen Leser, mit den Erläuterungen nicht zu kargen. Die Furcht vor diesen ist eine unbegründete, denn Anmerkungen und Zitate sind eine Notwendig-keit für den Leser, wie bereits M. Bernaysin schlagen-der Weise nachwies^), und höchstens unbequem für den Herausgeber, von dem man aber verlangen kann, daß er seinen Stoff gehörig verarbeite. Mögen Karoline Pichlers „Denkwürdigkeiten" in ihrer neuen Form oeim großen Lesekreis eine freundliche Aufnahme finden und dem Gelehrten nützlich werden, auf welch beide die erklä-renden Anmerkungen Rücksicht nehmen.
Es erübrigt nunmehr dem Herausgeber nur mehr die angenehme Pflicht, allen jenen öffentlichen Anstalten und Personen, welche diese Ausgabe durch ihre Unter-stützung ermöglichten, seinen ergebensten Dank aus-zusprechen. Vor allem gebührt dieser dem Stadtrat der k. k. Reichshaupt-und Residenzstadt Wien, welcher über Vorschlag seines Referenten,
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