Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
ganze Bau zerstört, die Haare ausgekämmt und nicht selten neu in Papil-loten gewickelt und gekräuselt werden mußten. Daß die Gebieterin dabei übellaunig wurde, daß die Zofen das entgelten mußten, ist ebenso natürlich — und die Erinnerung an alle die trüben Stunden, welche Putz und Toilette ihr gemacht hatten, mag wohl schuld gewesen sein, daß meine Mutter selbst in den Jahren, wo sie noch wohl Freude daran hätte haben können, sich vorteilhaft und ihrer sehr niedlichen Figur gemäß anzuziehen, sich schon ganz matronenhaft, und, wie ich mich aus den Bildern meiner Kindheit w^ohl ent-sinne, beinahe altfränkisch kleidete. Auch auf mich
hatten jene Erinnerungen Einfluß, denn ich mußte wie in allem, so besonders bei meiner Toilette sehr hurtig zu sein lernen, und es wurde mir für die damalige mühsame Art des Anzuges und der Frisur ungemein wenig Zeit gegönnt, um beides an mir zu bewerkstelligen.
Eine viel minder verdrießliche, wenn gleich auch an-strengende Art des Dienstes, war das Vorlesen der Geschäftsschriften in den verschiedenen Sprachen, welche in den weiten Provinzen der Erbstaaten geredet wurden; deutsch, italienisch, französisch (in den Niederlanden) und lateinisch (in Ungarn). Da Fran-zösisch damals noch viel mehr als jetzt die Sprache der höhern Stände, ja der gebildeten Welt überhaupt war, so war sie denn auch an Maria Theresias Hof die herrschende, zumal da ihr Gemahl, Kaiser Franz I., als geborner Lothringer kaum Deutsch verstand und es nie sprach, auch seinetwegen viele Personen in den Hofdiensten Lothringer oder Niederländer waren. Meine Mutter hatte das Französische daher von ihrer Kindheit an wie eine zweite Muttersprache, ja wie ihre eigenthche gelernt und sprach und schrieb es mit gleicher Fertigkeit. Auch das Italienische war ihr geläufig. Damals wurde es überhaupt viel am Hofe und in Wien gesprochen, und der Dichter des Hofes war stets ein Itahener; früher unter Kaiser Leopold, Apostolo Zeno^^)., später der hochberühmte Meta-stasio^o), eigentlich Trapassi genannt, den ich noch per-sönlich gekannt habe. Alle Schauspiele, welche dem Hofe zu Ehren oder bei feierlichen Gelegenheiten gegeben wurden, waren itahenische Opern, an deren Schlüsse jedesmal in einer kleinen Strophe, welche den Namen
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Licenza führte, ein Kompliment angebracht war, wel-ches den Inhalt der Oper mit einer schmeicHelhaften An-wendung auf die gegenwärtige Feierlichkeit verband2^). Diese beiden Sprachen waren meiner Mutter also sehr geläufig, und sie redete sie wahrscheinlich zier-licher und korrekter als ihre Muttersprache; denn da-mals galt noch von den meisten Einwohnern Wiens in den höheren Ständen, was ein Dichter von sich sagt:
Ich spreche Wälsch wie Dante,
Wie Cicero Lateinisch,
Wie Pope und Thomson Enghsch,
Wie Demosthenes Griechisch,
Wie Diderot Französisch
Und Deutsch — wie meine Amme.
Selbst die Kaiserin bediente sich des ganz gemeinen österreichischen Jargons, und folgende zwei Anek-doten, die ich oft aus dem Mund meiner seligen Mut-ter hörte, werden dienen, jene Zeit zu charakterisieren, von der ich spreche. Ein Fräulein aus Sachsen wurde als Kammerdienerin bei der Kaiserin angestellt, und meine Mutter, welche ihr damals schon mehrere Jahre gedient hatte, bekam den Auftrag, die Neue, so hieß jede Letzteingetretene unter den Fräulein, zum Dienst abzurichten." Das sächsische Fräulein nahm also in zweifelhaften Fällen immer ihre Zuflucht zu meiner Mutter, als ihrer Lehrerin. Eines Tages kam sie ganz verlegen und ängstlich zu ihr, und bat sie, ihr zu sagen, was sie zu tun habe. Ihre Majestät die Kaiserin habe das Blabe Buich verlangt. — Meine Mutter mußte lächeln, sie gab der Sächsin ein blaues Buch, in welchem die Kaiserin eben zu lesen pflegte, mit dem Bedeuten, es der Monarchin zu überreichen. , Lange wollte die andere es nicht glauben, daß mit jener Be-zeichnung ein blaues Buch gemeint sein sollte; —
indes meine Mutter beharrte darauf, Fräulein M**22) übergab das Buch, und sieh! — es war das rechte. Diese Anekdote erklärt hinreichend, warum in den glänzenden Zirkeln Französisch oder Italienisch und nie Deutsch gesprochen wurde.
Kurz vor der Geburt einer ihrer jüngsten Prin-zessinnen stritt die hochselige Kaiserin mit einem Gra-fen Dietrichstein ^^ scherzhaft darüber, ob das zu er-wartende Kind ein Prinz oder eine Prinzessin sein würde. Der Graf behauptete das erste, die Kaiserin das zweite. Es wurde eine Wette eingegangen; — die
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