Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
fünfjähriges, ganz hilfloses Mädchen hinterlassen habe, für das einstweilen seine Kameraden Sorge tragen müßten.
Als die Kammerfrau abends ihre Gebieterin aus-kleiden half, und die gütige Monarchin sich herab-lassend nach den Tagesbegebenheiten ihrer Frauen er-kundigte, erzählte jene das Gespräch mit dem Offizier von Wolfenbüttel*). Die Kaiserin hörte aufmerksam zu, ihr menschenfreundliches Herz wurde in Mitleid für das verlassene Kind gerührt: Ich will das Mädchen holen lassen, sagte sie, — sorgt dafür, daß sie mir ge-bracht werde.
Meine Mutter war im protestantischen Glauben ge-boren worden, dem auch die meisten Offiziere des Regiments zugetan waren. Der Befehl der Kaiserin ließ sie nichts anders erwarten, als daß das Kind, dessen sie sich annehmen wollte, in der katholischen Religion erzogen werden würde. Trotz der gerühmten Toleranz ihrer Konfession suchten sie aus allen Kräften dies zu verhindern, und verbargen das Mädchen mehrere Tage lang vor den Nachsuchungen, welche die Leute der
*) Vielleicht machte der Umstand, daß dies Regiment den Namen des Geschlechts der Kaiserin Elisabeth, der Mutter There-sias trug, sie demselben geneigter.
Monarchin nach demselben anstellten. Endlich fand man es auf, in einem Hause einer Vorstadt Wiens; es wurde nach Hof gebracht, dort unter Aufsicht eines alten, aber sehr würdigen Fräuleins von spanischer Her-kunft, Isabellas Düplessis^^), in den wenigen Fer-tigkeiten unterrichtet, die man dazumal von einem Mädchen forderte, und mit noch einigen Fräulein zum persönlichen Dienst bei der Kaiserin bestimmt.
Meiner Mutter ungewöhnlich lebhafter und durch-dringender Geist fühlte bald die Schranken, welche die Beschränktheit ihrer Umgebungen demselben an-legte. Sie dürstete nach Kenntnissen, nach gründ-Hchen Erklärungen der Dinge oder Begebenheiten, die sie um sich sah, und sie benutzte die Besuche einiger älterer, gebildeter Männer, welche in das Haus ihrer Erzieherin kamen, um von ihnen Antwort auf die Fragen zu erhalten, welche sich ihr während der Zeit aufgedrängt, und die sie sich deshalb aufzuschreiben pflegte. So strebte ihr Geist weit über ihre Lage, über ihre Gefährtinnen hinaus, und bildete sich meist aus sich selbst.
In diesem Alter war sie auch oft die Spielgefährtin der kaiserlichen Prinzessinnen und lernte in diesem ungezwungenen Beisammensein jene nahe und genau kennen, welche einst die ersten Throne Europas ein-zunehmen bestimmt waren ^^). Etwas später, da man die ungewöhnlichen Fähigkeiten dieses Kindes beur-teilen lernte, wurde sie zur künftigen Vorleserin der Kaiserin bestimmt, und zu dem Ende der Obersthof-meisterin Gräfin Fuchs^^) (nach dem Brauch jener Zeit Gräfin Füchsin genannt) übergeben, bei welcher sie sich im Lesen von Druck- sowohl als Handschriften üben mußte.
Als sie ihr dreizehntes Jahr erreicht^"*) hatte, fand man sie geschickt und klug genug, um ihren nicht leich-ten Dienst anzutreten, und schon dies bürgt für ihre hohe Geisteskraft und Fähigkeit. Sie hatte in dieser Stelle teils mit andern Fräulein ihres Ranges, welche insgesamt den Titel kaiserlicher Kammerdienerinnen trugen, die Toilette und persönliche Bedienung ihrer Gebieterin zu besorgen, teils allein das Amt, der Regentin vorzulesen. Diese Lektüre bestand aber nicht in Romanen oder Unterhaltungsbüchern; es waren Geschäftsschriften, Berichte, Depeschen, kurz Staatsangelegenheiten, über welche die Monarchin selbst entschied, und in denen sie mit unermüdlicher Anstrengung täglich viele Stunden arbeitete, wobei meine Mutter ihr vorlas und überhaupt oft Sekretärs-dienste verrichtete.
Natürlich waren wichtige Geheimnisse in den Hän-den des jungen Mädchens, aber ein frühreifer Geist, bei dem vielleicht die einsame Stellung, ohne Bluts-verwandte, ohne Freunde, auf einer Höhe, die von vielen beneidet ward, noch die angeborne Urteils-kraft vermehrte und den Beobachtungssinn schärfte, dieser wahrhaft männliche Geist gab meiner Mutter die Kraft, die Verschwiegenheit, die ganze würdige Haltung, welche ihr Platz forderte, und welche ihr das Vertrauen der Fürstin bis an deren Tod sicherte.
Maria Theresia führte ein äußerst tätiges und sehr regelmäßiges Leben. Um fünf Uhr im Sommer, im Winter wahrscheinlich später, stand sie täglich auf, und eine Klingel rief ihren Zofen. Es war Etikette, daß keine anders als frisiert, im seidenen Kleide (man kannte damals unsere Perkais, englische Leinwand usw. nicht), ja selbst im
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