Denn am Sabbat sollst du ruhen
zwei Jahren. Er erhielt von ihr weder seine Lehranalyse noch seine Supervision. »Ich habe sie verehrt«, erklärte er, »aber sie hatte keine Zeit für mich.« Als er sah, daß der Inspektor ihn nicht verstand, ergänzte er, daß sie ausgela stet war und eine Warteliste von zwei Jahren hatte.
Böhm hatte die Beine übereinander geschlagen und sich zurückgelehnt. Er stopfte seine zierliche Pfeife, worauf er ein goldenes Feuerzeug aus der Westentasche seines grauen Anzugs zog und die Pfeife in den Mund steckte, den ein gepflegtes Bärtchen umgab. Michael erkannte sofort, wel che Beziehung dieser Mann zu sich selbst und zu seinem Körper hatte. Das Behagen, das ihm seine eigenen Worte bereiteten, ermöglichte keinen Augenblick der Stille. Er hatte auf jede Frage eine Antwort, auch wenn er nichts zu sagen hatte: Er war auf der Party; er liebte Partys; er be trank sich wie ein Vieh, was ihn besonders froh stimmte; er habe Linder gern, sehr sogar, erhielt von ihm auch zwei Jahre Supervision. Es war unmöglich, von ihm Worte der Kritik über Leute aus dem Institut zu hören.
An einem bestimmten Punkt des Gesprächs, das trotz Michaels Bemühungen locker und oberflächlich blieb, fragte Michael: »Glauben Sie eigentlich, daß ich als unerkanntes Mitglied in Ihrer Ausbildungskommission sitze? Oder warum sonst kommt auch nicht die kleinste kritische Silbe über Ihre Lippen?
Böhm brach in Gelächter aus und fragte, ob er ihm gestatte, diesen Scherz weiterzuerzählen. Er ließ aber keinerlei Spannung erkennen, sondern gab offen zu, daß er nicht beabsichtige, »gegen irgend jemand dort negative Gefühle« zu hegen, solange er nicht seinen Weg durch das Institut beendet habe.
Trotz Böhms ironischer und selbstsicherer Art begann Michael sich zu fragen, warum dieser Mensch diesen Beruf ergriffen hatte. Und er entdeckte eine tiefe Trauer, vor allem in den Augen des Mannes, die weder nervös noch ängstlich, sondern nur leblos wirkten.
Er glaube nicht, erklärte er Michael, daß jemand vom Institut mit dem tragischen Tod Dr. Neidorfs in Verbindung stehe, er glaube es einfach nicht, wie viele Beweise der Inspektor auch dafür vorbringe. Und dann spulte er die Antworten auf Michaels Fragen herunter: Ja, er könne mit einem Revolver umgehen, gewiß habe er Linders Revolver gesehen. Er erinnere sich nicht, ob er im Schlafzimmer war, sicher war er zu betrunken, um sich zu erinnern. Vielleicht habe seine Frau die Mäntel geholt, er erinnere sich nicht. Er habe nichts gegen den Lügendetektor, das könne eine aufregende Erfahrung werden.
Wäre nicht der traurige Blick seiner Augen, könnte man glauben, daß er irgendeine Kuriosität schildert, dachte Mi chael. Die Trauer schien tief und wesentlich zu sein, sie hatte nichts mit den Ereignissen zu tun.
Auf die Frage, wie er sich an dem Morgen gefühlt habe, an dem über seine Fallstudie abgestimmt werden sollte, erklärte er, er sei sehr aufgeregt gewesen, obwohl er sich gesagt habe, daß er schlimmstenfalls seine Arbeit korrigieren mußte, und darauf habe er sich von vornherein vorbereitet. Er habe nicht bezweifelt, daß man ihn als Mitglied des Instituts akzeptieren würde. »Wer schließlich das achte Jahr erreicht hat und drei Patienten behandeln darf, muß etwas sehr Schwerwiegendes anstellen, um nicht akzeptiert zu werden, ich kann mir nicht einmal ausmalen, was.« Er hob die Augenbrauen, als er sich die Pfeife ansteckte, und ließ Michael nicht aus den Augen, der – wenn auch widerwillig – lächeln mußte.
»Weshalb haben Sie diesen Beruf gewählt?«
Dr. Böhm lächelte verschmitzt, aber seine Augen blieben traurig. »Ich habe gehört, wie hart die Kandidaten gesiebt werden, und da konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, mein Glück zu versuchen. Schließlich und endlich ist es ausgesprochen interessant. Und Psychiater war ich bereits. Ich hatte eine Menge Ideen zur Verbesserung der Strukturen und der Behandlungsmethoden, deshalb wurde ich Psychiater. Aber zum Institut kam ich aus purem Ehrgeiz. Es hat einige Mühe gekostet, Hildesheimer, der mit in der Prüfungskommission saß, zu überzeugen. Aber ich hatte gute Empfehlungen von der Klinik, und ich habe einen Freund, der das Institut absolviert und ein Wort für mich eingelegt hat.«
Mit diesem Mann konnte man über Gott und die Welt plaudern, und als Michael den Mord zur Sprache brachte, wirkte Dr. Böhm weder furchtsam noch angespannt, auch wenn sein Gesicht ernst wurde.
Michael Ochajon blieb auch diesmal mit
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