Denn bittersüß ist der Schnee - Lene Beckers dritter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
die Liebe von Jahr zu Jahr größer wird. Wie blöd von mir. Hätte ich das gewusst, dass sie all die Jahre mit dem Stachel Melanie gelebt hat – ich hätte ihr doch gesagt, dass das erledigt war. Natürlich haben wir uns gefreut, und es hat mich auch sehr aufgewühlt, als wir uns jetzt wiedergesehen haben. Aber das Wichtigste in diesem Wiedersehen war doch die Nachricht, dass ich damals einen Sohn gezeugt habe, den ich nie gesehen habe. Was mich sehr erschüttert hat. Und dass es jetzt einen halbwüchsigen Enkel gab. Dieses Geschenk war es doch, was mich wiederum glücklich machte. Mit Melanie verband mich eine Art vertrauter Wärme, vielleicht sogar eine Form von Liebe, noch immer. Aber es war eine Liebe, die wir nicht leben würden, die erwartungslos geworden war. Keine Ansprüche stellte.« Er atmete schwer.
»Und das war doch keine Konkurrenz für meine Ehe mit Jessica! Wie schrecklich es für sie gewesen sein muss. Trotzdem – sie hätte nie einen Me nschen angreifen können, und ganz gewiss nicht erschlagen. Ihre Hand kann das gar nicht, nicht einmal bei Insekten. Wenn sie früher einmal eine Fliege töten wollte, krümmte sie beim Zuschlagen automatisch ihre Handfläche, so dass die Fliege am Leben blieb. Deshalb lässt sie auch jedes Insekt inzwischen leben. Sie hat eine tiefe Achtung vor allem, was lebt. Nein, sie kann es nicht gewesen sein.«
Er hatte beim Sprechen immer mehr versucht sie alle drei zu übe rzeugen. Sie sah zu Kalle hinüber. Da Matthew deutsch gesprochen hatte, konnte er diesmal sofort alles verstehen. Er sah beeindruckt aus. Und sie war es auch.
Was für eine schöne und überzeugende Verteidigungsrede, dachte sie. Und hätte sich gewünscht, Jessica hätte sie gehört.
Sie erhob sich. »Wir wissen noch nichts Endgültiges. Aber Ihr Neffe ist am Flughafen München festgenommen worden. Er bleibt hier bis der Fall geklärt ist. Jetzt will ich ihn auf jeden Fall noch vernehmen. Nur – ich verspreche Ihnen, wir gehen auch einem Hinweis nach, den wir von Ihrer Frau bekommen haben. Ich bin zwar nicht sehr überzeugt, aber ich werde alles tun. Das verspreche ich Ihnen.«
Wegen Ihrer Gedichte, die mich so tief berührt haben, setzte sie i nnerlich hinzu. Quatsch, Lene, wegen der Wahrheit. Denn die ist es, die du finden willst. Der du dich verpflichtet hast. Auch wenn das nach hehren Worten klingt.
Nachdem Shiller sich verabschiedet hatte, ging sie mit Kalle hinu nter zu den Räumen von Klaus Mertens. Mike verabschiedete sich. Er wollte auf eigene Faust die Burg besichtigen. »Und vielleicht danach noch euren Supermaler, wie heißt er? Dürer, ja, den.«
Er sagte zwar Durer, aber Lene war stolz, dass er sich den Namen gemerkt hatte. Nicht alltäglich aus der Sicht Kaliforniens.
Mertens kam ihnen begeistert entgegen. »Ist euch schon aufgefa llen, dass ich der Größte bin? Also, Ihr werdet es nicht glauben! Ich habe mir die Fingerabdrücke von diesem Kilian Breitner geholt. Hatten die Jungs von der JVA eingespeichert. Und habe einen Abdruck von ihm an der Haustür unten vom Haus von der Merthens gefunden, beziehungsweise identifiziert. Gehabt habe ich ihn ja schon, ha-ha.«
Klaus hatte offenbar gute Laune. Jetzt begriff Lene erst, was er g esagt hatte. Zu sehr war sie noch mit ihren Gedanken bei Jessica gewesen.
»Was? Kilian Breitner war dort gewesen, wann auch immer? Und hat kein Alibi. Los, Klaus, wir brauchen sofort die Klamotten von ihm aus der JVA. Die sollen sie gleich bringen. Vielleicht …«
Klaus grinste breit und unterbrach sie. »Mann, Madla« – er wusste, dass sie es hasste, wenn er sie Mädel nannte – »die Kist‘n is doch scho unnäwegs! « Diesmal fränkisch als Merkmal guter Laune.
Sie hätte ihn am liebsten umarmt.
»Wie lange brauchst du? «, fragte sie atemlos.
Er beruhigte sie. »Nur den Faservergleich mit einem schwarzen Pullover – wenn wir Glück haben. Er kann n atürlich auch von Sven oder seinem Freund oder sonst wem stammen. Wart’s ab.«
In dem Moment kam der Bote von der JVA mit dem Paket unter dem Arm. »Herr Mertens? «
Klaus nahm es ihm ab. Der Mann war noch nicht wieder zur Tür hinaus, als Mertens die Schachtel schon geöffnet hatte. Ein Triumphschrei. In seinen behandschuhten Händen hielt er einen schwarzen Pullover. Er zupfte einige Fasern ab und ließ ihn zurückgleiten. Kalle und Lene folgten ihm zum Mikroskop.
Still beugte sich Mertens darüber, dann schob er es hinüber zu ihnen. Lene sah hinein, dann Kalle. Schließlich s ahen
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