Denn das Glueck ist eine Reise
gestoppt), ging er zu seinem großen Badehandtuch, das er am Ufer hatte liegen lassen. Dann lief er mit kerzengeradem Rücken den Strand hinauf und verschwand aus dem Blickfeld der beiden Zuschauer. Keine zehn Minuten später betrat er das Restaurant. Georges und Charles erkannten ihn an dem nassen Haar, das unter der Baskenmütze hervorlugte. Als der Mann eintrat, nahm er die Mütze ab. Jetzt war er sehr elegant gekleidet und trug einen flaschengrünen Rollkragenpullover und einen beigefarbenen Anzug. Er steuerte auf einen bestimmten Tisch zu, der offenbar für ihn reserviert war und ganz in der Nähe des Tisches stand, an dem Georges und Charles saßen. Letzterer konnte es sich nicht verkneifen, den verrückten Kerl anzusprechen.
»Hören Sie, man muss aber ganz schön robust sein, um das zu tun, was Sie da machen.«
»Nein, mein Lieber«, erwiderte der Mann und faltete die weiße Serviette auseinander. »Man muss nicht robust sein, sondern Bretone.«
Georges fragte sich, wie oft die Kellner diese Antwort wohl schon gehört hatten. Charles wandte sich ab, denn der andere sah aus wie jemand, der in Ruhe gelassen werden wollte.
Während des Essens sprachen Charles und Georges über die Organisation der weiteren Tour: Hotels, Zeitplanung, Sehenswürdigkeiten, Reiserouten ... Anschließend riefen sie sich in Erinnerung, was sie gestern und vorgestern gesehen hatten. Das Ganze spickten sie mit Anekdoten der Tour und unterschiedlichsten Erinnerungen, die zum Teil gar nichts damit zu tun hatten. Als sie ihr Dessert aßen, sprach der Schwimmer sie an.
»Verzeihen Sie, wenn ich mich in Ihr Gespräch einmische, aber ... machen Sie eine Tour durch die Bretagne?«
»Oh, nein, werter Herr«, erwiderte Charles stolz. »Wir machen etwas viel Besseres. Wir machen die Tour de France!«
»Toll!«
»Allerdings mit dem Auto und nicht mit dem Fahrrad.«
»Das ist trotzdem toll! Wenn ich mir die Frage erlauben darf, wo führt Ihre Tour denn entlang?«
Charles und Georges erläuterten ihm die Route mit einer kurzen Beschreibung dessen, was sie bereits gesehen hatten. Ihr neuer Gesprächspartner war beeindruckt.
»Ach, wie gern hätte ich so etwas mal gemacht!«
»Warum machen Sie es dann nicht? Ihre Gesundheit hält sie wohl kaum davon ab.«
»Eben doch. Wer weiß, was passiert, wenn ich mein tägliches Bad nicht nehme. Mit sechsundsiebzig Jahren weiß man nie.«
»Sie sind sechsundsiebzig?«, rief Charles. »Unglaublich! Danach sehen Sie aber wirklich nicht aus. Ich könnte jetzt sagen, ›genau wie ich‹, aber das wäre mir peinlich ...«
»Sie schwimmen wirklich jeden Tag?«, fragte Georges.
»Jeden Tag. Seit über zwanzig Jahren.«
»Und falls Sie mal verreisen müssen? Das kommt doch sicher auch mitunter vor.«
»Ja sicher. Sie meinen die großen Ereignisse des Lebens, wenn ich mich mal weit von meiner Heimat entfernt habe – der Bretagne natürlich. Nun ja, in solchen Situationen, wenn der Ärmelkanal, der Atlantik oder das Mittelmeer nicht in der Nähe sind ... obwohl das Mittelmeer ...«
»Oh, das Mittelmeer, das ist gar kein richtiges Meer«, unterbrach Georges ihn, »sondern eher eine Art große Badewanne.«
»Da gebe ich Ihnen recht. Wenn ich mal nicht schwimmen kann, gehe ich eine Stunde spazieren, direkt nach dem Aufstehen. Aber nicht wie eine Schnecke, sondern mit strammem Tempo und aufrechtem Gang!«
»Dann wäre die Tour de France genau das Richtige für Sie, denn laufen tun wir genug. Das kann ich Ihnen versichern«, erklärte Charles ihm.
»Ja, das stimmt«, pflichtete Georges ihm ein wenig erschöpft bei. Schon allein bei dem Gedanken daran verspürte er Schmerzen in den Knien.
Die drei Rentner rückten ihre Stühle zusammen und bestellten Kaffee sowie einen grünen Tee für Charles. Der Schwimmer hieß Marcel. Er war Soldat im Ruhestand und wohnte mit seiner Frau Jacqueline, die einundsiebzig Jahre alt war, in Erquy. Jeden Samstag ging sie im Ort zu ihrem Wassergymnastik-Kurs, und er nutzte diese Zeit, um seine geliebten Meeresfrüchte zu essen.
»Ich habe gleich gespürt, dass wir uns bestimmt gut verstehen werden«, sagte Marcel. »Ich gratuliere Ihnen. Sie haben sich für das Leben entschieden! Schluss mit der Diktatur des Körpers, der schlapp macht, mit den Ärzten, die uns Spritzen geben, und dem Alltag, der uns unter sich begräbt. Man muss sich dagegen auflehnen. Und am letzten Tag, am letzten Tag muss man wissen, wie man in Würde abtritt.«
»Ah!«, rief Georges, doch er
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