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Denn das Glueck ist eine Reise

Denn das Glueck ist eine Reise

Titel: Denn das Glueck ist eine Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Vermalle
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falls man aus Versehen ein Geräusch verursachte, wurde man gleich rot.
    Georges fand diesen Raum auch deshalb deprimierend, weil um acht Uhr morgens das Licht eingeschaltet worden war. Dicke, schwarze Wolken zogen über den grauen Himmel. Die Straßen in Saint-Brieuc waren beinahe unheimlich. Man hatte sich an die Sonne und die milden Temperaturen an diesen ersten Oktobertagen gewöhnt, und jetzt kam der Winter, und sofort spürte er auch seine Schmerzen wieder.
    »Wir bekommen schlechtes Wetter.«
    »Hm ... ja«, erwiderte Charles, der grünen Tee schlürfte, den er jeden Morgen zum Frühstück selbst mit an den Tisch brachte.
    »Spürst du es nicht? Ich habe wieder meine Schmerzen. Das ist nicht gut.«
    »Ach was! Das wird schon wieder. In der Bretagne ändert sich das Wetter schnell. Morgens ist ein Sauwetter, und am Nachmittag kann man am Strand in der Sonne braten.«
    »Hm«, murmelte Georges, der nicht überzeugt war.
    Ja, er hätte gerne eine kleine Pause eingelegt, aber Charles ließ nicht mit sich verhandeln. Die ganze Côte d’Émeraude bis Saint-Malo lag noch vor ihnen.
    »Du wirst sehen. Es ist herrlich. Von dort aus wirst du Adèle beeindruckende SMS schicken können.«
    Eine Stunde später waren sie wieder unterwegs.

    Die Strecke von Saint-Brieuc nach Saint-Malo war eine »Zwischenetappe« und gehörte nicht zur Tour de France. Dennoch gefiel ihnen gerade diese Strecke besonders gut. Trotz des Windes und der bedrohlichen Wolken bedauerten Georges und Charles wieder einmal, dass sie nicht länger bleiben konnten. Wie sonst nirgends verzauberte das schlechte Wetter hier die Besucher. Es enthüllte die Geheimnisse der Region, ihre Launen und ihren Charakter. Es enthüllte ihr Temperament.
    Kaum waren die beiden Abenteurer in Erquy angekommen, das vierzig Kilometer von Saint-Brieuc entfernt war, da hatte Georges Adèle schon zwei SMS geschickt.
    Es war gerade Flut, und sie spazierten am Cap d’Erquy am Strand entlang, an den Dünen und der grauen Heidelandschaft vorbei, über die der Wind fegte. Sie hatten ihre Fleecepullover und Windjacken ausgepackt, und bei jedem Windstoß mussten sie die Baskenmützen festhalten, damit sie ihnen nicht wegflogen. Das Rauschen der Wellen, die jodhaltige Luft, der Sand, die Wolken, die über den Himmel zogen, die Schreie der Kinder, die um ihre Eltern herumliefen – alles war in Bewegung, und alles war voller Leben. Hier konnte man Sauerstoff tanken. Die beiden Großväter hatten den Eindruck, als würde sie dieser starke Wind reinigen, der von weither kam. Es war trotzdem schrecklich kalt, und schließlich liefen sie auf ein Restaurant am Strand von Braie zu.
    Als sie am Tisch saßen, rieb Charles sich noch immer die Hände, um sie zu wärmen. Plötzlich zeigte er auf den Strand.
    »Sieh mal, dieser Spinner da. Der muss doch verrückt sein«, sagte er zu Georges.
    Georges schaute in die Richtung, in die Charles zeigte. Ein Mann, der lediglich eine Badehose trug, lief entschlossenen Schrittes aufs Meer zu.
    »Nein! Das macht der nicht!«, meinte Georges.
    »Und obendrein ist das auch kein junger Spund mehr. Ich wette, der ist schon um die sechzig. Nein, er macht es nicht ... nein ... und doch! Und dann auch noch mit einem Sprung!«
    Der Mann war in die Wellen getaucht.
    »Verdammt, das ist ein Masochist!«, rief Georges. »Der holt sich doch den Tod. Wo sind denn die Rettungsschwimmer? Da muss man doch was tun!«
    Der Kellner, der an den Tisch getreten war, mischte sich ein.
    »Machen Sie sich keine Sorgen. Das macht der jeden Tag, egal, ob es regnet, stürmt oder schneit. Wir haben uns schon daran gewöhnt.«
    »Sogar im Winter?«, fragte Charles.
    »Sogar im tiefsten Winter. Mein Kollege da – ich war nicht da, weil ich immer im Februar Urlaub nehme − aber mein Kollege, der hat ihn einmal gesehen, bei minus fünf Grad! Es waren minus fünf Grad!«
    Georges und Charles waren sprachlos.
    »Aber uns stört das nicht. So etwas sorgt ja für Aufsehen. Den Gästen gefällt das sehr. Und was darf ich Ihnen bringen? Eine Portion Jakobsmuscheln?«
    »Aber sicher«, erwiderte Charles. »Wenn man in Erquy keine Jakobsmuscheln isst, wo soll man sie dann essen?«
    »Und da sind Sie nicht die Einzigen. Sie werden sehen. Heute ist Samstag. Der ältere Herr da, der gerade schwimmt, kommt auch. Jeden Samstag gönnt er sich seine Meeresfrüchte mit einem Gläschen Sancerre. Sie werden sehen.«
    Nachdem der Mann fast fünf Minuten geschwommen war (Charles hatte die Zeit genau

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