Denn das Glueck ist eine Reise
zu verheimlichen. Ich habe ...«
»Ich meine, sie weiß nicht, warum ich hier bin.«
»Mensch, Charles, hör mal, du bist hier, weil du dir einen Jugendtraum erfüllen willst und weil wir alle das Recht haben, uns einen Jugendtraum zu erfüllen, und das auch noch mit achtzig Jahren. Das ist keine Schande, ganz im Gegenteil! Seit zwei Wochen benehmen wir uns wie die Kinder, und ich muss leider feststellen, dass meine Füße nicht mehr folgen, und ich lehne eine kleine Pause nicht ab ... Später können wir die Reise dann immer noch fortsetzen ...«
»Nein, Georges«, unterbrach Charles ihn. »Das ist nicht der Grund, warum ich hier bin. Ja, es stimmt, ich habe diesen Plan schon seit einer Ewigkeit, diesen Plan oder einen anderen. An Plänen mangelt es nicht. Ich bin hier, weil ich ...«
Er verstummte kurz und redete sich dann alles von der Seele, ohne eine einzige Pause zu machen.
»... weil ich dich und diese Tour brauche. Ich muss neue Leute kennenlernen und etwas erleben, weil mein Kopf krank ist, Georges. Das ist die Krankheit der Alten, Georges, die Demenz. Und auch wenn alle Leute ständig darüber reden und dir sagen, dass es eben so ist und man nichts dagegen tun kann, glaube mir, Georges, das ist wirklich großer Mist, wenn man so was kriegt. Und es gibt keine Medikamente. Es gibt nichts außer der Klapsmühle und großen, schwarzen Löchern. Das Einzige, was hilft – und da sind die Ärzte sich alle einig –, ist, die grauen Zellen auf Trab zu halten. Aber wie? Kreuzworträtsel, sagen sie. Das sagen sie allen Opas, weil die Opas nichts anderes mehr können als Kreuzworträtsel zu lösen. Stimmt, man muss Kreuzworträtsel lösen, Silbenrätsel, Wabenrätsel, Zahlenrätsel und Sudokus und das ganze Zeug. Das muss man machen, um weiterhin klar denken zu können, und man braucht mehr davon, als im TéléStar jemals abgedruckt werden. Ich hab die Schnauze voll von Kreuzworträtseln. Ich kann die Dinger nicht mehr sehen. Ich kenne alle Wörter mit drei Buchstaben und alle Nebenflüsse der Seine. Ich könnte sogar Kreuzworträtsel-Wettbewerbe ausrichten. Sicher, es gibt auch noch Kopfrechnen und Gehirnjogging und Kartenspiele und Gartenarbeit und Scrabble. Wenn man die so reden hört, könnte man auch gleich mit Makramee anfangen. Aber das alles, Georges, reicht nicht mehr ... Es reicht nicht mehr ... Da ist dieses Ding, das mein Gehirn auffrisst und alles auslöscht, die Erinnerungen verschlingt, die Gesichter, sogar mein Esszimmer und die Vornamen der Kleinen ... Alles, was ich wusste, weiß ich nicht mehr. Von allem, was ich gesehen habe, fehlt die Hälfte, und ich habe Schiss, dass plötzlich alles weg ist, bums, Vorhang zu, und was bleibt dann noch von mir? Dann bin ich ganz leer wie eine alte Nussschale, in der nichts mehr drin ist. Wozu soll es denn gut sein, alt zu werden, wenn man keine Erinnerungen mehr hat? Was ist das Leben wert, wenn niemand mehr dazugehört, weil alle Freunde, die ganze Familie und alle Kinder ausgelöscht sind? Es ist nichts mehr wert, das Leben, Georges. Nichts mehr. So ist es leider. Alles, was Thérèse und mir eingefallen ist, das war die Tour de France. Jeden Tag die Umgebung wechseln, die Gehirnzellen durchpusten, Menschen kennenlernen und neue Situationen meistern ... Und dann kann ich mir noch dazu einen alten Jugendtraum erfüllen. Das ist schon etwas anderes als Kreuzworträtsel zu lösen, verstehst du? Zuerst haben wir kaum daran geglaubt, denn du warst nicht sonderlich begeistert, und darum haben wir uns nicht allzu sehr daran geklammert. Aber jetzt ... jetzt sind wir unterwegs ... Vielleicht bringt das gar nichts, wirst du sagen, und da drinnen gehen nach und nach die Lichter aus, und man kann nichts machen. Aber vielleicht auch nicht, vielleicht klappt es. Thérèse, die glaubt daran. Und ich weiß nicht, ob ich daran glaube, aber wenn es auch nichts bringt, schaden wird es auch nicht. Ach, Scheiße! Und ich glaube trotzdem daran, weil es mir guttut, daran zu glauben. So, jetzt weißt du es. Ginette, die weiß das alles nicht, Georges. Dass ihr kleiner Bruder den Verstand verliert, wie die alten Leute. Sonst hätte sie dich nicht eingeladen, nach Notre-Dame-de-Monts zu kommen.«
Charles verstummte, und Georges schwieg. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Warum hatte er es nicht eher bemerkt? An der Tankstelle, natürlich, da hätte er etwas merken müssen. Und die Sache mit den Abfällen in Châteauneuf-du-Faou ... Und wenn er jetzt darüber
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