Denn das Glueck ist eine Reise
Minuten nach zwölf war Georges geduscht, gewaschen, rasiert und angezogen. Er hatte Aftershave aufgelegt, seine Mütze abgestaubt, die Brille gereinigt und die Schuhe geputzt. Kurzum, er war bereit, doch er musste sich noch fast eine halbe Stunde gedulden. Er setzte sich aufs Bett und wollte den Fernseher einschalten, aber dieses Gerät mit den vielen Kanälen, die er zu Hause nicht hatte, war einfach zu kompliziert.
Zu Hause ... Es kam ihm so weit entfernt vor, sein kleines Haus in Chanteloup. Georges dachte über die Gründe nach, warum er zur Tour de France aufgebrochen war, die ihn plötzlich ziemlich bedrückten. Doch diese Gedanken verdrängte er schnell. Später hätte er noch genug Zeit, darüber zu grübeln. Im Augenblick musste er sich darauf konzentrieren, auf das Rendezvous mit Ginette zu warten.
Um halb eins saß er an einem Tisch im Restaurant und fummelte an den Ecken seiner Serviette herum. Es war ihm peinlich gewesen, als der Oberkellner ihn gefragt hatte: »Einen Tisch für wie viel Personen?« Georges war der Meinung, dass es auf jeden Fall höflicher war, einen Tisch für drei Personen zu nehmen, auch wenn er innerlich hoffte, dass Charles nicht kommen würde. Es war nicht etwa so, dass er seine Gesellschaft nicht ertragen hätte, denn so schlimm hatten sie sich nun auch nicht zerstritten. Doch Charles hätte sofort bemerkt, wie aufgeregt Georges war, und das wäre ihm peinlich gewesen. Ja, er war nervös wie ein Jugendlicher. Auf diesem Gebiet lernte man wohl nie aus. Vielleicht war er in Herzensdingen auch ein wenig eingerostet, denn sein letztes richtiges Rendezvous lag fast sechzig Jahre zurück.
Ginette kam um zwei Minuten nach halb eins. Georges fand sie diesmal noch weiblicher als beim letzten Mal. Er hätte nicht sagen können, was sich verändert hatte, vielleicht ihre Art sich zu schminken oder ihre Haare zu frisieren; auf jeden Fall war das Resultat gelungen. Sie trug eine Bluse in einem zarten Rosa, eine hübsche Perlenkette und einen ziemlich flott geschnittenen Blazer aus roter Wolle, der ihren gebräunten Teint betonte. Sie küssten sich auf die Wangen. Wie ein richtiger Gentleman rückte Georges ihr den Stuhl zurecht. Um Ginette Charles’ Abwesenheit zu erklären, erzählte er ihr die Geschichten von der durchgelegenen Matratze, vom Museum Louison-Bobet, von der an der Rezeption hinterlassenen Nachricht und so fort ... Doch je mehr er erzählte, desto mehr hörte es sich nach einem Komplott an, das er mit Charles geschmiedet hatte, um mit ihr allein zu sein. Schließlich verlor er vollkommen den Faden, und Ginette sagte einfach: »Ah, ich verstehe. Das ist nicht schlimm. Wir sehen ihn bestimmt heute Nachmittag.«
Zum ersten Mal hatte Georges nichts am Mittagessen auszusetzen. Im Grunde achtete er auf gar nichts. Weder auf das, was er aß, noch auf das, was er trank, noch auf die anderen Gäste, die hier saßen, noch auf die Bilder, die an den Wänden hingen, und auch nicht auf den Servierwagen mit dem Nachtisch. Hätte er es allerdings getan, hätte er die Gäste eingebildet gefunden, die Bilder zu modern und den Servierwagen zu beladen. Georges sah nur Ginette. Und sich selbst, ja, er nahm sich selbst auch viel bewusster wahr als gewöhnlich, und das gefiel ihm gar nicht. Als sie das Dessert aßen, verstummte er und hörte Ginette gar nicht mehr zu, die unaufhörlich weiterredete. Es war nicht etwa so, dass ihn das, was sie sagte, nicht interessierte, doch er musste sich auf das konzentrieren, was er gleich tun würde. Es war schließlich nicht so einfach, wie etwa Fahrrad fahren zu lernen. Schließlich fand er den nötigen Mut und nahm Ginettes Hand. Ginette verstummte kurz, um dann aber noch schneller weiter zu erzählen als zuvor. Ihre Hand aber ließ sie in der von Georges.
Nach dem Dessert nahm das Gespräch eine andere Richtung an. Sie waren sich einig, dass sich das Blatt durch Georges’ Geste, gefolgt von Ginettes wortloser Zustimmung, eindeutig gewendet hatte. Man konnte, wenn man wollte, gemeinsame Pläne schmieden, solange sie bescheiden blieben. Diese Phase war extrem heikel: Wenn sie zu großartige Pläne schmiedeten, hätte man ihnen vorwerfen können, die Sache zu ernst zu nehmen. Wenn sie hingegen überhaupt keine Pläne schmiedeten, hätte das den Eindruck erweckt, sie würden die Sache auf die leichte Schulter nehmen. Georges fühlte sich so wohl wie ein Seiltänzer mit Rheuma bei seiner ersten Vorführung. Glücklicherweise fand Ginette das richtige
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