Denn dein ist die Schuld
hast.«
Morena knurrte wieder.
»¡Hijo de puta!« , fluchte sie. Und presste die Tasche noch enger an sich.
»Komm, mach schon, zeig sie mir. Ich nehm sie dir schon nicht weg.«
»Nein.«
»Dann gibt es heute Nacht eben keine Zigaretten. Nada de nada. Schade. Das war die doppelte Ration.«
Pedro machte das Päckchen ganz langsam auf, zeigte Morena den Inhalt, schloss es wieder und tat so, als wollte er es wieder einstecken. Morena streckte ihre Hand aus und wollte es sich trotzdem angeln, aber dafür musste sie die Tasche loslassen. Blitzschnell stürzte sich Luna darauf und entriss sie ihr.
Während Pedro sich um die rasende Morena kümmerte, durchsuchte Luna die Handtasche.
Hausschlüssel. Schminksachen. Ein Päckchen Papiertaschentücher. Ein abgeschaltetes Mobiltelefon ohne SIM-Karte, Luna kontrollierte genau. Ein Portemonnaie mit ein paar Geldscheinen. Ein Reisepass der Republik Moldawien.
Im Licht der Taschenlampe konnte sie erkennen, dass er auf Nelea Eminescu ausgestellt war, dem Foto nach zu urteilen ein hübsches Mädchen mit ausgeprägt slawischen Gesichtszügen. In dem Ausweis war eine Plastikhülle mit einer Fotokopie: die Empfangsbestätigung des Antrags auf eine Aufenthaltsgenehmigung für Nelea Eminescu, Beruf Kindermädchen, den ein gewisser Luciano Simonella gestellt hatte.
»Hast du diese Tasche geklaut?«, fragte Luna ganz sanft, um die arme Obdachlose nicht zu verschrecken, die auf der Bank herumzappelte.
Dann bemerkte sie die Stiefel und die Jacke.
Ein ganz schlechtes Zeichen!
Die Handtasche konnte gestohlen sein. Auf der Straße leben heißt schließlich von der Straße leben. Aber wenn außer der Tasche auch noch Kleidungsstücke und Schuhe existierten, die nicht so aussahen, als stammten sie aus einem Altkleidercontainer der Caritas, hieß das, das Opfer wurde ausgezogen, und dazu musste man es vorher bewegungsunfähig gemacht haben.
Oder getötet.
Sie mussten Morena zum Reden bringen. Damit sie sagte, wo sie diese Sachen gefunden hatte.
Luna, Pedro und Mirko waren mit dem Leben auf der Straße vertraut. Sie wussten, wie sie ihre Klienten anzupacken hatten. Außerdem kannten sie Morena, seit sie sich vor Jahren hier im Sempione-Park zusammen mit dem Capitano häuslich niedergelassen hatte, einem alten Penner, der, wäre er nicht in so schlechter Verfassung gewesen, durchaus als Doppelgänger von Sean Connery hätte durchgehen können.
»Los, Morena, du kannst das Geld behalten, aber den Rest muss du uns geben. Dieser Frau ist etwas Schlimmes zugestoßen, und damit willst du doch nichts zu tun haben, oder?«
»¿Quién sabe? La cartera y el resto estaban en …« , hier folgte etwas Unverständliches.
» ¿Qué dijiste? Was hast du gesagt?« Pedros Spanisch war zwar nicht besonders gut, falsche Verben, im Infinitiv, aber es war klar und verständlich.
»Que todo estaba en el basurero. Yo no he … no robé. Todo estaba allá.« - Das war alles im Müllcontainer, ich … habe nicht gestohlen. Das war alles dort drin.
»Bien.«
Luna warf ihrem Mitstreiter einen besorgten Blick zu. Als sie sich Morena genähert hatten, hatte sie gesehen, dass die Daunenjacke über und über von dunklen Flecken überzogen war, die nun eingetrocknet waren, wodurch der Stoff hart wie Pappe geworden war. Und sie hatte auch den Geruch wahrgenommen, der von ihr ausging. Pedro verstand sofort, was das zu bedeuten hatte, und zog sein Handy aus der Tasche, um den Notruf der Polizei zu wählen.
KAPITEL 28
Freitag, 9. Februar, 15:30 Uhr
Meeting im Büro der Staatsanwaltschaft.
Vincenzo Marino hatte die Einladung dazu erhalten, als er gerade in Rozzano war. Er befand sich auf der Carabinieristation und sprach mit dem diensthabenden Offizier, als sein Handy klingelte. Am anderen Ende Sandra Leoni.
»Ja?«
»Im Büro der Staatsanwaltschaft in einer halben Stunde.«
»Was Neues?«
»Komm einfach!«
Genau in diesem Augenblick erschien der Tenente Colonnello Glauco Sereni.
Ein großer, attraktiver Mann, üppiges, grau meliertes Haar, randlose Brille wie die eines Intellektuellen. Dazu eine Uniform, die so angegossen saß, dass sie eher aus einer Maßschneiderei zu stammen schien als aus einer staatlichen Kleiderkammer. Glauco Sereni sah weniger wie ein Carabinierioffizier aus, sondern vielmehr wie ein Schauspieler, der einen Carabiniere spielte. Neben ihm schien Ispettore Capo Marino - fast einen Kopf kleiner, zerwühlte Haare, ein von zu wenig Schlaf zerknautschtes Gesicht, dazu Jacke, Hose,
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