Denn dein ist die Schuld
Sie befürchten müssten, wieder ins Gefängnis zu kommen?
GDV: Wer sagt denn so was? Aber hier bei euch weiß man nur, wann man hineingeht, aber nie, wann man wieder rauskommt. Na schön. Hier meine Personalien: Giulio Della Volpe, geboren am 20. Oktober 1966 in Mailand und so weiter.
GS: In welcher Beziehung standen Sie zu den verschwundenen Minderjährigen Ivan und Martina Della Seta?
GDV: In gar keiner, sie sind die Kinder meiner Freundin, der Annamaria Donadio. Die ist Witwe.
GS: Haben Sie eine Vorstellung, wo sie sein könnten? Warum sie gestern Abend nicht nach Hause gekommen sind?
GDV: Nein. Wenn der Junge nicht zu Hause war, hing er immer im Gemeindezentrum rum. Die müsst ihr fragen, den Pfarrer und die aus dem Chor, ob sie irgendeine Ahnung haben, wo Ivan abgeblieben ist. Ich bin den Gören nur ab und zu abends über den Weg gelaufen, ein kurzer Gruß, mehr war da nicht.
GS: Gab es Schwierigkeiten zwischen Ihnen? Hatten Sie häufiger Streit?
GDV: Ach, ich wusste doch, dass es darauf hinausläuft. Nein, es gab keine Probleme.
GS: Worauf läuft es hinaus, Signor Della Volpe?
GDV: Mich zu beschuldigen. Weil ich vorbestraft bin. Es ist doch immer das Gleiche: Gibt es irgendwo Schwierigkeiten? Geht zu Giulio. Klaut man jemandem die Handtasche? Na, war das etwa Giulio? Schneit es? Giulio ist schuld. Die Kleinen sind von zu Hause abgehauen? Die haben Probleme mit Giulio …
GS: Beruhigen Sie sich, niemand hat Ihnen irgendetwas zur Last gelegt, Signor Della Volpe. Jedenfalls im Augenblick. Ich bitte Sie, mir höflich zu antworten. Sie sind einer der Menschen, die den Kindern am nächsten standen. Hatten Sie Probleme miteinander?
GDV: Nein, solange sie sich anständig benahmen, nicht.
GS: Was meinen Sie mit »solange sie sich anständig benahmen«? Erklären Sie mir das.
GGDV: Also, das heißt, der Kleine, der Ivan, spielte sich manchmal auf.
GS: Und was haben Sie getan, wenn er sich, wie Sie es nennen, »aufspielte«? Haben Sie ihn geschlagen?
GDV: Aber was denn! An den beiden hing doch das Jugendamt wie eine Klette. Ivan hätte die eine oder andere Ohrfeige schon ganz gutgetan, aber das hat schon seine Mutter besorgt. Ich habe ihn nicht mal mit dem kleinen Finger berührt.
GS: Sprechen wir über den 6. Februar. Wo waren Sie an diesem Nachmittag?
GDV: Aber das habt ihr mich doch schon hundertmal gefragt, oder? Schauen Sie in die Akten.
GS: Antworten Sie!
GDV: In der Werkstatt war ich! Zum Arbeiten. Da bin ich gewesen, bis ich hierher zum Unterschreiben gekommen bin. Prüfen Sie’s doch nach. Da war auch der Besitzer und der Junge, der ihm hilft.
GS: Vor- und Nachname und Anschrift des Besitzers. Anschrift der Werkstatt, Vor- und Nachname und Anschrift des Mitarbeiters.
GDV: Na schön, wenn’s denn sein muss, aber die ganzen Adressen von denen kenne ich nicht.
KAPITEL 34
Samstag, 10. Februar, vor Sonnenaufgang
Der Anruf beim Notruf der Carabinieri ging von einer Telefonzelle aus einer der miesesten Ecken von Rozzano ein.
»Hier in der Via delle Pioppe Nummer siebenunddreißig, Bar Dany , gehen ständig merkwürdige Leute ein und aus. Und man hört Geräusche, dass einem die Haare zu Berge stehen. Ich weiß nicht, was da los ist, aber irgendwas ist da los. Das steht so weit fest.« Die Stimme, die durch irgendetwas, anscheinend aus Stoff, gedämpft wurde, klang wie die einer Frau.
»Wer spricht da?« Bevor der Mann in der Zentrale den Anruf an das Einsatzkommando weiterleitete, schaute er auf das Display. Eine öffentliche Telefonzelle.
Die Stimme am anderen Ende der Leitung überging seine Frage.
»Hören Sie auf mich. Fahren Sie hin, und sehen Sie nach.«
»Sind die Geräusche störend?«
»Nein, nicht störend. Schlimme Geräusche, dass man gleich Angst bekommt. Dort drinnen geschieht etwas Merkwürdiges. Schicken Sie bitte jemanden hin.«
»Danke für den Hinweis, wir schicken einen Streifenwagen hin. Ihr Name?«
Klick. Aufgelegt.
Schon wieder so eine, die nicht schlafen kann, und versucht, sich die Nacht aufregend zu gestalten, indem sie uns loshetzt, dachte der Mann in der Telefonzentrale.
Solche Anrufe gab es zuhauf bei der Polizei und den Carabinieri. Besonders im Sommer, wenn die Viertel sich leerten, Geschäfte und Lokale Betriebsferien hatten und die Leute, die zu arm und zu einsam waren, in ihren glühend heißen Wohnungen saßen und sich den Schatten der Vergangenheit und ihren persönlichen Ängsten stellen mussten.
Mehr oder weniger begründeten Ängste,
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