Denn dein ist die Schuld
Kofferraum über die Grenze! Und jetzt hör auf mit dem Mist, du hast doch noch nicht mal’nen Führerschein! Wir hatten eine klare Abmachung. Das wusstest du von Anfang an.«
»Es ging nie um …«
»Jaa, klar, das kannst du deiner Großmutter erzählen! Du entführst zwei Kinder, die dich kennen, und dann lässt du sie irgendwann wieder laufen. Wie denn? Darüber hättest du vorher nachdenken müssen! Das Geld hat dir doch gefallen, oder? Und jetzt steckst du eben voll in der Scheiße.«
KAPITEL 37
Dienstag, 13. Februar, 15:15 Uhr
Eine der ehrenamtlichen Helferinnen, die alle Kleidungsstücke überprüften, die die Mailänder in die gelben Behälter der Caritas warfen, hatte die Polizei informiert.
Eine Frau mittleren Alters, verwitwet, ein kleiner Hund.
Sie hieß Nerina, und als ihr Ehemann, Gott hab ihn selig, noch lebte, hatte er sie aus Spaß immer Kriminalerina genannt, weil sie sich so sehr für Verbrechen und speziell Morde interessierte.
Kapitalverbrechen, besonders Verbrechen aus Leidenschaft, waren Nerinas Ein und Alles. Sie verschlang die Zeitungsartikel über Mordfälle und deren Rekonstruktion, suchte in allen Zeitungen, die ihr unter die Augen kamen, nach Einzelheiten: Hier hieß es, auf dem Telefon sei auch Blut gewesen. Ich habe doch gesagt, dass er versucht hat, Hilfe zu rufen!
Und dann zog sie sich sämtliche Nachrichten und Sondersendungen rein. Die Talkshows Typ Porta a porta hielten sie bis zu den unmöglichsten Nachtzeiten am Bildschirm fest, und wenn sie keinen Dienst in der Gemeinde hatte, tat sie sich auch noch die »vertiefenden« Nachmittagssendungen wie zum Beispiel Cronaca in diretta an.
Die Wochenzeitschriften las Nerina beim Friseur.
Sie ließ sich absichtlich keinen Termin geben, damit sie während der Wartezeit die Artikel genüsslich lesen konnte. Sie setzte sich dann mit einem Stapel Zeitschriften neben sich auf den Stuhl, und ab und zu empörte sie sich.
Also so was, der eigene Neffe!
Ich hatte doch gesagt, dass es der Ehemann war!
Nerinas Montagabende waren der Sendung Chi l’ha visto gewidmet, in der unter geheimnisvollen Umständen verschwundene Personen gesucht wurden, und seit dem Tod ihres Mannes war sie manchmal sogar die ganze Nacht auf, wenn sie nicht schlafen konnte, und sah sich auf Sky alte Folgen von CSI oder NavyCIS an. Natürlich hatte diese Leidenschaft sie in eine große Expertin für Gerichtsverfahren, Tatorte, Indizien, Beweise und Spuren verwandelt.
In diesen Tagen hielt sie die Nachricht vom Verschwinden der drei Kinder in heller Aufregung. Sie kannte die gesamte Berichterstattung der Medien darüber, und deshalb fiel ihrem geschulten Blick sofort dieses bunte, in der Plastiktüte einer Supermarktkette eng zusammengerollte Stoffbündel auf, als sie den Inhalt eines gelben Altkleidercontainers von der Caritas von Lambrate sortierte. Ein rosa Anorak, ein Mützchen und ein langer Strickschal. Außerdem eine weiß-blau geblümte Bluse mit umsticktem Kragen, ein Trägerrock, rosa Wollstrumpfhosen und kleine Turnschuhe mit Klettverschluss. Die vollständige Kleidung eines kleinen Mädchens.
Doch es beunruhigte sie noch mehr, als sie in den Ärmeln des Anoraks einen Baumwollslip und ein wärmendes Unterhemd fand, beide mit einer dunklen Flüssigkeit durchtränkt. Da erstarrte sie.
»Oh mein Gott, das ist ja Blut!«
Als sie sich den rosa Anorak, das Mützchen und den langen Schal genauer ansah, wurden ihr die Knie weich: Gerade am vergangenen Abend hatte sie sich in Gesellschaft ihrer Nachbarin Chi l’ha visto angesehen und erinnerte sich noch genau an die Personenbeschreibung der Moderatorin Federica Sciarelli von Ivan und Martina Della Seta. Das schienen genau die Kleidungsstücke zu sein, die Martina getragen hatte, als sie am Morgen vor ihrem Verschwinden das Haus verließ.
»Oh Jesus!«
Doch Nerina wusste genau, wie sie sich in einem solchen Fall zu verhalten hatte. Als sie ihre Verwirrung und die Übelkeit durch den Schock überwunden hatte, ging sie so umsichtig und zielstrebig vor, wie sie es so oft bei CSI gesehen hatte. Sie ließ die Kleidungsstücke auf dem Sortiertisch liegen, sagte den beiden ehrenamtlichen Helferinnen, sie sollten nichts anfassen, dann nahm sie ihr Mobiltelefon und wählte den Notruf der Polizei.
KAPITEL 38
Dienstag, 13. Februar, ca. 16:00 Uhr
Der Mann in der Telefonzentrale nahm den Anruf der Signora, die behauptete, sie hätte die Kleidung des verschwundenen kleinen Mädchens gefunden, nach außen hin
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