Denn dein ist die Schuld
Neurosen, Zwangsvorstellungen, manchmal sogar Wahnsinn.
Und wenn jemand es nicht mehr aushielt, rief er lieber die Ordnungskräfte an, ehe er vom Balkon sprang oder sich mit dem Gurt des Rollladens aufhängte, und machte dort die seltsamsten Meldungen. Denn ein kurzes Gespräch mit einem Mann in Uniform war besser als nichts, so konnte man sich zumindest einbilden, noch dazuzugehören.
Doch dieser Anruf kam mitten in einer eiskalten Februarnacht, und das Viertel war keineswegs menschenleer.
Hm, dachte der Mann in der Telefonzentrale und gab den Anruf an das Einsatzkommando weiter, das es an die Funkstreifen weiterleitete.
»Hier Zentrale. Via delle Pioppe siebenunddreißig, Rozzano. Meldung verdächtiges Treiben. Überprüfung verlangt.«
»Wagen vierundsechzig, Rozzano, wir sind auf dem Viale Lazio. Worum geht es?«
»Verdächtiges Treiben, Ort: Bar Dany. Ich wiederhole: nur überprüfen.«
»Menschen?«
»Positiv, Vierundsechzig!«
»Wir sind vor Ort. Hausnummer?«
»Wiederhole Adresse: Pioppe siebenunddreißig. Bar Dany. Verdächtiges Treiben.«
»Wie verdächtig?«
»Unbekannt. Vielleicht ein sechs-zwei-vier. Oder ein sechseins-vier. Vorsicht, es könnte auch ein fünf-acht-acht sein. Keine näheren Angaben.«
»Hier Wagen vierundsechzig. Wir fahren zum Zielort.«
»Gut, Vierundsechzig.«
»Schusswaffen?«
»Negativ.«
Der dunkelblaue Alfa Romeo mit dem roten Streifen wendete und fuhr zum Zielort.
Die Meldung war ziemlich unbestimmt. »Verdächtiges Treiben«, das konnte sich ebenso gut auf einen Diebstahl (sechs-zwei-vier) wie auf Hausfriedensbruch (sechs-einsvier) oder eine Schlägerei (fünf-acht-acht) beziehen. Doch vermutlich war es nur ein Betrunkener. Vielleicht ein Obdachloser, der nach Schnapsflaschen suchte, in denen noch ein Rest war, und dabei einen Müllhaufen zum Einsturz gebracht hatte. Oder eine Schlägerei zwischen Pennern.
Der Alfa Romeo hielt genau gegenüber der Bar vor den Arkaden.
Weit und breit kein Mensch.
Ein Carabiniere verließ den Wagen und sah sich um.
Nichts, ringsum Schweigen.
Was auch immer hier gewesen war, es schien jetzt aufgehört zu haben. Obwohl er nicht weiter schauen konnte als bis zu dem, was er im gelblichen Schein der einzigen Straßenlaterne erkannte. Doch eins war in dieser gespannten Reglosigkeit ziemlich eindeutig: ein unerträglicher Gestank nach Urin und im Freien vor sich hin verrottendem Abfall.
Der Carabiniere fröstelte in seiner Uniform und stellte eine kurze Ortsbesichtigung an, wobei er sich mehr auf seinen Geruchssinn verließ als auf seine Augen, bis er das Ende der Sackgasse erreichte. Dort stolperte er über einen schwarzen aufgeschlitzten Plastiksack und wäre beinahe mit dem Gesicht nach unten in einen Haufen aus Müll und Glasscherben gefallen. Er konnte sich gerade noch auf den Beinen halten, während einige Flaschen rund um ihn lautstark zu Boden polterten.
Der Mann ging zum Auto zurück und nahm das Mikrofon.
»Hier Wagen vierundsechzig. Via Pioppe siebenunddreißig, keine Vorkommnisse.«
»Bewegungen? «
»Keine. Wir fahren jetzt. Aber hier stinkt es zum Himmel …«
Er ließ den Satz unbeendet. Mit einer Handbewegung stoppte er den Fahrer, der den Motor wieder gestartet hatte, weil er aus dem Augenwinkel etwas bemerkt hatte. Durch ein Gitter in Höhe der Straße, einige Meter vom Eingang zur Bar Dany entfernt, fiel ein bläulicher Schein nach außen.
Er wies den Kollegen darauf hin.
»Und was ist das da?«
»Tja, vielleicht sieht dort unten jemand fern.«
»Das sieht nicht aus wie ein Fernseher, nein, mehr wie … Warte mal …«
Der Carabiniere hängte das Mikrofon des Funkgeräts ein und verließ erneut den Wagen. Er näherte sich dem Gitter und versuchte vorsichtig hineinzuschauen.
Kurze aufeinanderfolgende Blitze. Sie drangen durch etwas, das wie ein löchriger Verdunkelungsvorhang aussah.
Als er sich in eine günstigere Position hinunterbeugte, sah er, wie sich das Licht der Straßenlaterne in einer Glasscheibe spiegelte.
Hinter dem Gitter befand sich ein von innen verdunkeltes Fenster.
Er lauschte: nichts.
Daraufhin kehrte er zum Wagen zurück.
»Vierundsechzig an Zentrale.«
»Zentrale.«
»Wir sind immer noch in der Via delle Pioppe, auf Höhe Hausnummer siebenunddreißig.«
»Bar Dany.«
»Jawohl. Von innen kommt ein seltsames Licht.«
»Wie seltsam?«
»Das kann man nicht erkennen. Es kommt und geht. Das Fenster hinter dem Gitter ist geschlossen und verdunkelt, aber in dem Tuch sind Löcher.
Weitere Kostenlose Bücher