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Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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ihr der Teil des Autobahnrings um Washington, der durch Maryland führte, immer Lichtjahre entfernt vor, nur selten fuhr sie dorthin. Aber die Strecke war beinahe gespenstisch leer gewesen. Ach, es war ja Samstag. Terry war zum Golfen gefahren, nicht zur Arbeit. Auf dem Weg über die I-495 und die River Road redete sie sich ein, sie würde zum Einkaufen nach Tyson’s Corner fahren, und später, sie sei zum Saks auf der Wisconsin Avenue unterwegs.
    Aber dann fuhr sie auf der Poplar Street. Sie stellte das Auto ab und ging um das Haus herum. Nirgends rührte sich etwas. Ungeniert betrat sie den Garten – den Riegel am niedrigen Tor konnte sie problemlos zur Seite schieben – und spähte in die Fenster. Hier wohnten Kinder, überall lag ihr Zeug verstreut. (War es denn so schwer, hinter Kindern herzuräumen oder sie dazu zu bringen, selbst Ordnung zu halten? Solche Unordnung hatte es bei Trudy nicht gegeben.) Elizabeth Lerner hatte Kinder und wahrscheinlich auch einen Mann. Das war kein Haus für eine alleinerziehende Mutter, auch wenn das die Unordnung erklären würde. Da stand ein großes Hundekörbchen – also hatten sie noch dazu einen Hund. Sie versuchte, die Tür zu öffnen, um zu sehen, ob Elizabeth Benedict es wagte, in einem unverschlossenen Haus zu leben, so wie die Tacketts früher. Auf der T’n’T hatten sie nie die Türen abgesperrt, wenn sie in der Stadt waren, und was hätte das auch gebracht? Holly war am Ende ihrer Auffahrt entführt worden.
    Die Tür war verschlossen.
    »Wollen Sie zu den Benedicts?«
    Sie erschrak beinahe zu Tode, mehr über den Namen als wegen der Stimme an sich. Der Mann, der sie angesprochen hatte, war wahrscheinlich gute sechzig und für einen Samstagmorgen in einem Vorort sehr ordentlich gekleidet mit einem kurzärmligen Hemd und einer feinen Stoffhose.
    »Ja«, antwortete sie. »Ich war zufällig in der Gegend. Ich bin eine alte Freundin, wir haben uns seit Jahren nicht gesehen. Deswegen wollte ich mal vorbeischauen, ob sie zu Hause sind.«
    »Sie sind übers Wochenende weggefahren, Sonntagabend wollen sie zurück sein. Sie haben mich gebeten, die Zeitung hereinzuholen. Schade, dass Sie sie verpasst haben.«
    »Das hat man davon, wenn man vorher nicht anruft. Ich schreibe ihnen einen Zettel.«
    Sie wollte nicht tatsächlich einen Zettel hinterlassen, aber mit der Lüge konnte sie den Mann vielleicht davon abhalten, der Familie nach ihrer Rückkehr von der Begegnung zu erzählen. Sie ging zu ihrem Auto, riss einen Zettel von dem Block ab, den sie im Handschuhfach aufbewahrte, und tat so, als würde sie etwas schreiben. Aber irgendwann tat sie nicht mehr nur so, sondern schrieb tatsächlich. Nachdem sie mit dem Anfang gerungen hatte – sie konnte sich nicht dazu bringen, das Wort »Liebe« in der Anrede zu benutzen –, schrieb sie:
    Elizabeth,
    bitte rufen Sie mich an, wenn es Ihnen passt.
    Trudy Tackett
    Nach kurzem Überlegen schrieb sie ihre Handynummer darunter statt der Festnetznummer.
    Mit dem Zettel in der Hand blieb sie vor der Haustür stehen. Hatte sie ihn erst durch den Briefschlitz geworfen, konnte sie ihn nicht mehr zurücknehmen. Aber was konnte man schon zurücknehmen? Eigentlich nichts. Entschuldigungen, Prozesse, nicht einmal Hinrichtungen änderten daran etwas. Man konnte die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Knochen heilten. Alles andere blieb in Trümmern. Sie hat auch gelitten , hatte Terry während der Verhandlungen mit einem Blick auf Inez Lerner gesagt, aber Trudy hielt die eingegrabenen Falten im Gesicht von Elizabeths Mutter eher für einen Beweis, dass diese Frau nicht auf sich geachtet hatte und damit auch nicht auf ihre Tochter, die sich wiederum nicht um Trudys Tochter gekümmert hatte. Trudy hasste Inez Lerner auf den ersten Blick. Die Hippiekleidung, das angegraute Haar, die beiden Armreifen, die sie an einem Handgelenk trug und die im Gerichtssaal zusammenschlugen, so laut wie ein Schuss, dass alle zusammenzuckten. Warum leben deine Kinder noch? , wollte Trudy schreien. Was ist an dir so besonders? Inez Lerner hatte ihre Kinder nicht mehr geliebt oder besser behütet als sie. Holly hatte am Fuß der Auffahrt gestanden, nicht in einem Park. Holly hatte Geld für dieses arme Mädchen gesammelt, das nach einer Chemotherapie eine Perücke brauchte, sie war nicht ziellos durch die Gegend gelaufen und hatte Ärger gesucht. Noch heute drängte die kindliche Klage in ihr hoch, die heißen, machtlosen Tränen: Das ist unfair.
    Sie vermisste

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