Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
hatte lange gedauert, bis ihm klar geworden war, dass er Reue empfinden konnte, ohne die Sichtweise der Gesellschaft zu übernehmen. Es tat ihm leid, dass er diese Mädchen getötet hatte, aber es war nicht seine Schuld. Er war nicht so dumm, das laut auszusprechen, nicht einmal Barbara gegenüber, obwohl er ihr manche Einzelheit verraten hatte, die niemand sonst kannte. Mit Jeff sprach er nur über Reue und seine späte Erkenntnis, dass niemand einen anderen töten sollte.
Zu dieser Erkenntnis war er ganz allein gelangt, also wieso erkannte der Staat Virginia das nicht auch? Das war die eigentliche Ungerechtigkeit. Er sah es ein: Es war falsch gewesen, diese Mädchen zu töten, weil es falsch war zu töten, immer. Ohne Ausnahme.
Er wollte Jeff in die Defensive drängen, um klare Worte zu hören: »Das war’s dann, was? Dieses Mal haben wir keine Chance, es aufzuhalten.«
»Es gibt immer eine Chance, und wir werden alles versuchen, das wissen Sie doch. Eine Revision beim Obersten Gerichtshof, einen Antrag auf Strafmilderung beim Gouverneur.«
»Sagen Sie doch einfach, wie es ist.«
Pause. Dann: »Im Moment läuft alles darauf hinaus.«
Wenn du wüsstest! Walter fiel es schwer, vor diesem ernsthaften jungen Mann mit dem scharfen Verstand nicht mit dem Plan anzugeben, den er ausgeheckt hatte. Er hätte ihm gern erzählt, dass er Elizabeths Foto zwar aus Zufall gefunden hatte, aber erst nachdem Barbara monatelang versucht hatte, sie aufzuspüren. (Einmal hatte sie sogar bei Elizabeths Mutter und Schwester angerufen und sich als alte Freundin ausgegeben, aber die beiden hatten angemessen skeptisch reagiert. Er mochte Barbara, wirklich, aber diese Stimme! Man konnte schlicht nicht glauben, dass ein Mädchen wie Elizabeth mit jemandem befreundet war, der sich so anhörte.) Jeff würde von dieser Taktik sicher nichts halten, aber er würde sich über das Ergebnis freuen, sogar stolz auf Walter sein. Bei seinem Anwalt musste Walter oft an Earl denken, den Mechaniker in der Werkstatt seines Vaters und den einzigen Menschen, der erkannt hatte, dass Walter etwas zu bieten hatte. Er fragte sich, was aus Earl geworden war, ob er die Zeit bei den Marines überlebt und irgendwann seinen Reparaturladen eröffnet hatte. Ob er über Walter Bescheid wusste? Die Vorstellung war schrecklich, Earl hätte damals von ihm in der Zeitung gelesen und ihn für ein Monster gehalten, für Abschaum.
»Ich verstehe«, versicherte er Jeff.
»Ich meine nur – es wäre so schade, wenn Ihnen dieses Treffen nicht den Frieden gibt, den Sie sich erhoffen.«
»Damit werde ich fertig, Jeff. Es geht dabei nicht um mich. Es geht um sie.« Pause. »Was hatten Sie für einen Eindruck von ihr?«
Dieses Mal zögerte Jeff. »Sie war nett.«
»Sie wiederholen sich. Das ist nur eine hohle Phrase.« Nett war weder Fleisch noch Fisch, eine schwammige, farblose Beschreibung. Nett war gar nichts.
»Na schön, dann eben ziemlich still. Ihr Mann hat das große Ego, und sie scheint ihn alles regeln zu lassen.«
»Heißt das, er ist herrisch? Bevormundet sie?«
»Nein, er hat nur deutlich die Zügel in der Hand, er ist der Kämpfer in der Familie. Sie scheint Konflikten eher aus dem Weg zu gehen.«
Oh, das weiß ich. Genau darauf verlasse ich mich.
Er fragte Jeff nicht weiter nach Elizabeth aus, weil er fürchtete, er könnte sich verraten. Jetzt lag er auf seiner Pritsche, starrte, umspült von den rauen, scharfen Geräuschen in Sussex I, an die Decke und erinnerte sich, ohne es recht zu wollen, an die Zuneigung, die er für sie empfunden hatte. War das Liebe? Er war sich nicht sicher, ob man es so nennen konnte. Aber es hatte damals etwas gegeben zwischen ihnen. Eine Verbindung. Er konnte sie dazu bringen, alles zu tun, was er wollte. Bewies das nicht ihre Bindung? Er hatte ihr das Leben geschenkt. Wenn man es recht betrachtete, war er eine Art Gott. Und jetzt war der Moment gekommen, die Gegenleistung einzufordern.
Kapitel 36
»Wer ist Trudy Tackett?«, fragte Iso.
»Woher kennst du diesen Namen?«
Sie hatten gerade gereizt, müde und erschöpft von der Fahrt das Haus betreten, nachdem sie auf der I-66 in einen schlimmen Stau geraten waren. Der Auslöser sei ein schrecklicher Unfall gewesen, hieß es auf WTOP . Peter stellte das Radio aus, nachdem gesagt wurde, bei dem Zusammenstoß seien zwei Menschen gestorben. Bis sie die Unfallstelle im Kriechtempo passieren konnten, waren die Krankenwagen und Hubschrauber längst verschwunden, nur noch die
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