Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
Mal hatten sie miteinander gesprochen, am zweiten Tag von Elizabeths Aussage. Sie hatte etwas gegessen, das ihr nicht bekommen war. Es waren nicht die Nerven, ihr Vater wurde von der gleichen Übelkeit gepackt, von diesem seltsamen Gefühl, sich übergeben zu müssen, obwohl dann nichts kam. Als nach der Hälfte des Nachmittags eine Pause eingelegt wurde, rannte Eliza zum nächsten Waschraum. Sie würgte und würgte und brachte trotzdem nichts heraus.
Als sie die Toilettenkabine verließ, stand Trudy Tackett vor ihr. Sie war eine hübsche Frau. Damals kam sie Eliza natürlich uralt vor. Eigentlich komisch, denn Mrs. Tackett war jünger als Inez. Aber sie trug ein Kostüm, das selbst im Gericht auffallend förmlich wirkte, und war sehr stark und unvorteilhaft geschminkt.
»Ich bin Hollys Mutter«, sagte sie.
Eliza nickte. Man hatte ihr eingeschärft, nicht mit Zuschauern zu sprechen, und sie nahm an, dass Hollys Mutter die Vorschriften kannte. Sie wollte nicht unhöflich sein, aber sie wollte auch nichts falsch machen. Dadurch hätte der Prozess als fehlerhaft platzen können, und das war das Letzte, was Eliza wollte.
»Sie war jünger als du«, sagte ihre Mutter. »Einen Monat später wäre sie vierzehn geworden. Wir hatten schon eine schöne Party geplant.«
Eliza riss die Augen auf, um anzudeuten, dass sie eine schöne Party für eine nette Idee hielt. Sie wollte gehen, aber Mrs. Tackett versperrte ihr den Weg, und Eliza konnte nicht an ihr vorbei, ohne unhöflich zu werden.
»Ich weiß, Holly hat ausgesehen, als wäre sie sechzehn oder achtzehn. Glaubst du, das wussten wir nicht? Ihr Vater und ihre Brüder liefen ständig mit geballten Fäusten herum und hätten am liebsten jeden Mann geschlagen, der sie auch nur ansah. Dabei hat sie vor zwei Jahren noch mit Puppen gespielt. Sie hatte es nicht eilig, erwachsen zu werden, wie manch andere Mädchen. Auf jeden Fall hat sie keinen Madonna-Kult betrieben.«
Das Haarband, die Handschuhe und Stiefel, die Eliza bei ihrer Entführung getragen hatte, gehörten zu den Nebensächlichkeiten, die unnötig aufgebläht wurden. Man definierte sie jetzt über diese Dinge, obwohl sie sich kaum noch daran erinnern konnte.
»Das war kein Kult«, widersprach sie, weil sie sich missverstanden fühlte. »Ich … mochte sie. Ihr Stil hat mir gefallen.«
Zurzeit waren Molly Ringwald und Ally Sheedy ihre Vorbilder, mit hochgeschlossenen Blusen und weiten Röcken, Broschen und Perlen.
»Du hättest auf sie aufpassen müssen«, sagte Mrs. Tackett. »Du warst die Ältere. Du wusstest, was da vor sich ging.«
»Ich konnte nicht … ich habe nicht …«
»Du hättest …«
Als sich in diesem Moment eine andere Frau in den Waschraum drängte, floh Eliza. Sie sprach nie wieder mit Mrs. Tackett, aber am Tag der Schlussplädoyers spürte sie ihren Blick. (Sie hatte nicht kommen wollen, aber der Staatsanwalt hatte gesagt, es würde einen schlechten Eindruck machen, wenn sie nicht anwesend wäre.)
Seitdem glaubte sie, dass Mrs. Tackett bei den Worten unterbrochen worden war, vor denen Eliza die größte Angst hatte: Du hättest tot sein sollen. Jeder weiß, dass du tot sein solltest, nicht Holly. Du hast sie sterben lassen, damit du leben konntest.
Teil VI
Crazy for you
1985 veröffentlicht
Erreichte Platz 1 in der Billboard Hot 100
Hielt sich 25 Wochen lang in der Billboard Hot 100
Kapitel 37
Wie eine verliebte Teenagerin kehrte Trudy immer wieder in Elizabeth Lerners Viertel zurück. Sie setzte sich ins Auto, um Milch zu kaufen oder für Terry etwas bei der Reinigung abzugeben, und überquerte plötzlich wie in Trance den Potomac. Und wenn sie den Fluss einmal überquert hatte … na ja, das Sprichwort kannte man ja. Das machte sie ein, zwei, drei Mal und blieb ebenso oft in bösen Staus stecken. Bei ihrer vierten Fahrt kam sie nach einem langen Aussetzer gerade noch rechtzeitig zu sich, um zu bremsen und nicht auf ihren Vordermann aufzufahren.
Dann fand sie heraus, dass sie zur U-Bahn-Haltestelle in Alexandria laufen und mit der Bahn bis hinauf nach Bethesda fahren konnte, wenn sie einmal in der Washingtoner Innenstadt umstieg. Die Fahrt dauerte lang, dafür war die Metro sauber und zuverlässig, und geistesabwesende Momente waren nicht weiter gefährlich; schlimmstenfalls würde sie ihre Haltestelle verpassen. Aber das geschah nie. In vernünftigen Schuhen, die Trudy für eine Londonreise zu ihrem dreißigsten Hochzeitstag gekauft hatte, lief sie zu Elizabeth Lerners Haus,
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