Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
sehr liebte und dass diese Liebe ihn zu Verbrechen und enormen Risiken getrieben hatte. Dass dazu ein Angriff auf die Frau gehörte, die er angeblich liebte, war heikel, aber sie verstanden es. So geliebt zu werden, so begehrt zu werden, dass es einen Mann wahnsinnig machte – was konnte sich ein Mädchen Schöneres wünschen?
»Hör mal«, sagte der Mann, »kannst du tapfer sein? Kannst du brav sein?«
Sie nickte, obwohl sie vom Gegenteil überzeugt war.
»In Ordnung«, sagte er. »Ich nehme dir den Knebel ab. Aber du musst brav sein. Weißt du, was ich damit meine? Kein Schreien und kein Weinen. Wenn du einen Ton von dir gibst, kneble ich dich wieder und zeige dir, wie man einem Menschen wehtut. Leg dich lieber nicht mit mir an. Schlaf einfach, wir reden morgen über alles.«
Ohne den Knebel wollte sie im ersten Moment schreien, so laut sie konnte, aber sie brachte keinen Ton heraus. Die Angst war zu groß. Er hielt die Hände nah an ihren Hals. Ihr fiel der Erdhügel ein, an dem sie den Mann zuerst gesehen hatte, mit einer Schaufel in der Hand. Er hatte nicht offen gesagt, was er getan hatte, trotzdem wusste sie es. Er war fähig, jemanden zu töten. Er hatte es schon getan. In diesem Moment beschloss Elizabeth, alles zu tun, um zu überleben. Sie würde alles ertragen, was er mit ihr vorhatte, solange sie weiterleben durfte.
»Wie heißt du?«, flüsterte sie.
»Walter«, antwortete er. »Manchmal überlege ich, ob ich mich lieber Walt nennen sollte. Was meinst du?«
Sie hatte schreckliche Angst, es gäbe nur eine richtige Antwort und sie würde die falsche wählen. »Klingt beides nett«, sagte sie daher.
Er beobachtete sie weiter, jederzeit bereit, ihr den Mund zuzuhalten. Sein Blick war unbeteiligt, neugierig. Sie hatte an ihren Tränen zu schniefen und zu schlucken, war aber sonst still, wie er befohlen hatte. Er nahm die Hand weg – und schlief ein.
Irgendwann schlief sie auch ein, und so blieben sie beide liegen, wie sie waren, nebeneinander auf der Bettdecke. Er berührte sie nur ein Mal, als er sie auf die Seite drehte und sich beschwerte: »Du schnarchst.«
Kapitel 11
In den nächsten Tagen glich der Brief an Walter dem rosa Elefanten aus der Denksportaufgabe, man solle denken, woran man wolle, nur nicht an einen rosa Elefanten. Hatte er ihn bekommen? Genügte er? Würde Walter enttäuscht sein?
Sie hatte versucht, einen höflich endgültigen Ton anzuschlagen. Ja, sie sei verheiratet und lebe in dieser Gegend. (Eigentlich albern, so vage zu schreiben, obwohl er ihre genaue Adresse kannte.) Iso und Albie erwähnte sie nicht, mit keinem Wort. Walter war kein Pädophiler, auch wenn es angesichts seiner jungen Opfer immer wieder Fragen in diese Richtung gegeben hatte, und sie glaubte nicht, dass er ausbrechen, und schon gar nicht, dass er dann nach Bethesda kommen würde. Aber dass sie Kinder hatte, war zu persönlich, um ihm davon zu erzählen. Sie schrieb, es sei interessant , von ihm zu hören, aber nicht ganz unerwartet. Wie hatte sie mit diesen Wörtern gekämpft und jedes einzelne ganz genau abgewogen! Was würde Walter aus »nicht ganz unerwartet« herauslesen? Er war erstaunlich gut darin, zu hören, was er hören wollte, und Bedeutungen zu erkennen, die außer ihm niemand sah. Bei einem Semiotikseminar im College hatte sie unwillkürlich gedacht, Walter hätte es mit Derrida gut aufnehmen können. Walter reduzierte alles auf einzelne Wörter und gab ihnen die Bedeutung, die er wollte, rechtfertigte jede seiner Taten. Er war wie eine Figur aus Alice im Wunderland oder aus einem der späteren Oz -Bücher, aus dem mit der Stadt, in der alle Bewohner extrem umständlich redeten. Plappermäuler, so hießen sie.
Trotzdem vermied sie beim Schreiben mit Bedacht alles, was ihm Ärger einbringen könnte, obwohl kein Gefängniswärter den Brief zu Gesicht bekommen würde. Walter war besonders unberechenbar und angriffsbereit, wenn er glaubte, jemand wolle ihm schaden. Statt an das Gefängnis schickte sie ihre Antwort an das Postfach, das auf dem Brief als Absender stand. Ihr war klar, dass damit Walters Komplizin – falls es nicht doch Jared Garrett war – sie vielleicht zuerst lesen würde, obwohl sie in dem frankierten, adressierten Brief in einem zweiten, verschlossenen Umschlag steckte. Aber wer Walter auch half – er kannte sie schon und wusste, wo sie wohnte. Hätte sie den Brief an das Gefängnis geschickt, hätte ein einziger geschwätziger Wärter ihr Leben aus der Bahn werfen
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