Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
gar nicht so lang. ›Das ist doch nur ein guter Monat‹, habe ich gedacht. Aber das kann wirklich lange sein.«
Die Waffeln waren mit dicker Blaubeersauce angerichtet. Eliza, die ihren Teller normalerweise leer machte, presste die Zinken der Gabel auf die Waffeln, drückte sie platt, bis sich das Gitter auflöste.
»Kurz vor Ende hat er noch ein Mädchen entführt. Danach wurde eine Großfahndung ausgelöst, und die Polizei hat uns gefunden. Aber da war sie schon tot.«
»Sie war tot«, wiederholte Peter. »Heißt das – er hat sie ermordet?«
Eliza nickte. »Das war nicht das erste Mal. Keiner weiß, wie viele Mädchen er umgebracht hat. Als ich ihm in dem State Park hinter unserem alten Haus über den Weg gelaufen bin, hat er gerade ein Mädchen begraben. Einige Leute behaupten, er habe ein Dutzend Mädchen ermordet, bevor er geschnappt wurde.«
Eliza wartete mit angehaltenem Atem. Peter fragte nicht: »Warum hat er dich nicht getötet?«, sondern: »Wie wurdest du gerettet?«
Beinahe hätte sie geantwortet: »Ich weiß nicht, ob ich wirklich gerettet wurde.« Aber Melodramatik lag ihr nicht, und im Grunde hatte sie keinen Zweifel daran, dass sie gerettet worden war. »Ziemlich unspektakulär. Er hat eine rote Ampel überfahren und einfach losgeredet, als wir angehalten wurden. Nachher kam heraus, dass uns morgens eine Angestellte in einem Piggly Wiggly gesehen hatte. Wir sind ihr komisch vorgekommen, da hat sie die Polizei gerufen.«
»Was hat sie bemerkt, das vorher niemandem aufgefallen ist? Wart ihr nie draußen unterwegs?«
Sie wollte Peter nicht anlügen oder ihn täuschen, aber sie konnte ihm auch nicht die ganze Wahrheit erzählen. »Es ist schon komisch, was man alles nicht sieht. Er hat mir die Haare abgeschnitten – der Schnitt war wirklich schrecklich, ich musste weinen. Ich habe zwar nicht ausgesehen wie ein Junge, was er eigentlich wollte, aber ich habe auch nicht ausgesehen wie auf meinem Foto, das überall gezeigt wurde. Und ich hatte Angst vor ihm, ich bin still gewesen und habe nicht versucht, jemanden auf uns aufmerksam zu machen.«
»Weißt du was?«, fragte Peter.
»Was?«, fragte sie ängstlich. Sie hatte keine Vorstellung davon, was als Nächstes passieren würde. Bisher hatte sie sich erst einem Menschen anvertraut, damals in der Highschool, und das war böse ausgegangen.
»Ich glaube, du brauchst noch einen Kaffee.« Statt die Kellnerin heranzuwinken, die an einem anderen Tisch beschäftigt war, stand er auf, holte die Thermoskanne hinter der Theke hervor und schenkte Eliza nach. In diesem Augenblick wusste sie, dass Peter immer für sie sorgen würde, wenn sie ihn ließ.
Nach diesem Muster lebten sie jetzt seit zwanzig Jahren; sie kümmerten sich umeinander und teilten ihre Aufgaben zwischen der Welt da draußen und ihrem Heim auf. Peter focht die Kämpfe außerhalb aus, während Eliza darauf achtete, dass die Fenster immer geschlossen und verriegelt waren und die Alarmanlage funktionierte. Sie waren ein Team.
Im Laufe der Zeit hatte sie natürlich mehr und detaillierter davon erzählt. Peter fragte nie, warum sie als Einzige Glück gehabt hatte. Er nahm es als gegeben an und war froh darüber. »Wir überlegen auch nicht, warum der Blitz an einer bestimmten Stelle einschlägt«, sagte er einmal. Als er später für eine Londoner Zeitschrift am ersten Jahrestag von Hurrikan Katrina Berichte aus New Orleans schreiben sollte, verfasste er eine wunderbare Passage über die Deiche, von Menschen entworfene und instand gehaltene Systeme, die spektakulär gescheitert waren. Er beschrieb die Willkür des Wassers, das ein Viertel völlig zerstörte und ein anderes relativ unversehrt ließ. Obwohl er nichts gesagt hatte, glaubte Eliza, dass er diese Worte für sie geschrieben hatte, als eine Art Sonett, als weiteren Beweis, dass Peter verstand. Walter war eine Naturkatastrophe, die sich durch menschliches Versagen zur Tragödie ausgewachsen hatte. Eliza hatte sich auf einer Seite des Deichs befunden, Holly auf der anderen. Man musste nicht fragen, warum.
Jetzt sagte Peter, bevor er seinen Aktenkoffer packte, um zur Arbeit zu gehen: »Der Anwalt, Blanding, hat mir gesagt, dass Walter seine Telefonliste bestimmen kann, aber nicht die Besucherliste. Es ist beinahe unmöglich, ihn zu besuchen. Aber irgendwann bittet dich Walter vielleicht darum. Und wenn du es willst, würde es bei dir vielleicht gehen, wegen deiner Vergangenheit.«
Sie glaubte nicht, dass sie Walter besuchen wollte,
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