Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
sind sie am Schluss?«
»Das kann ich nicht sagen. Es würde zu viel verraten.« Sie konnte es ihm nicht sagen, weil sie sich alles spontan ausdachte, aber auch, weil sie Angst davor hatte, was passieren würde, wenn Mr. Steinbeck und sein Pudel irgendwann nicht mehr weiterfuhren. Wenn sie nie ankamen, würde Walter sie nie leid werden, er würde nicht in irgendeinem Wald ein Loch ausgraben und sie dort lassen.
»Na gut. Was ist in Tulsa passiert?«
»Sie haben auf dem Gehweg eine Kette gefunden. Also, Charley hat sie gefunden, beim Spazierengehen. Sie hatte violette Steine …«
»Die heißen Amethyste.«
»Ja, weiß ich.« Sie hätte nur nicht gedacht, dass Walter es auch wusste. Manchmal überraschte er sie mit seinen Kenntnissen. Noch überraschender war allerdings, was er nicht wusste, ganz alltägliche Dinge manchmal, die selbst kleine Kinder verstanden. »Amethyste in einer altmodischen Fassung aus dicken goldenen Rechtecken, offensichtlich ein antikes Schmuckstück. Aber es war niemand zu sehen, und an der Straße standen nur komische alte Häuser. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass dort jemand so eine Kette besaß. Charley hob sie mit der Nase vom Gehweg auf …«
»Ach, das hat er erfunden. So was kann ein Hund nicht.«
Sie hatte das Gefühl, sie müsste Steinbeck und Charley verteidigen, obwohl die Geschichte von ihr stammte. »Das ist dichterische Freiheit.«
»Was soll das sein?«
Sie war nicht sicher, ob sie es erklären konnte. »Wenn man ein Dichter ist oder ein Autor, darf man manche Sachen schreiben, auch wenn sie nicht ganz stimmen. Man darf zum Beispiel schreiben, es hätte eine Sonnenfinsternis an einem Tag gegeben, an dem gar keine war, wenn man das braucht. Glaube ich.«
»Und braucht man für so was eine Erlaubnis?«
»Was meinst du?«
»Wie bei einem Führerschein oder einer Jagdlizenz. Muss man sich irgendwo eine Erlaubnis holen und was dafür zahlen?«
Sie hätte ihn zu gerne angelogen. Vonnie hätte das gemacht, sie ließ gerne andere, meist Elizabeth, so auflaufen, dass sie später wie Idioten dastanden. Aber dafür würde er sie bestrafen. »Nein, das darf eigentlich jeder. Man nennt das nur so.« Sie überlegte, wie sie das in der Schule genannt hatten. »Das ist eine Redewendung.«
»Also ist dichterische Freiheit nicht nur für Dichter da?«
»Genau. Irgendwie so. Ach, egal. Jedenfalls hat Charley diese Kette gefunden. Sie war wertvoll, und sie wollten die echte Besitzerin finden. Aber wie sollten sie das anstellen? Wären sie von Tür zu Tür gegangen und hätten die Kette herumgezeigt, hätte irgendein unehrlicher Mensch gesagt: ›Ja, die gehört mir.‹«
»Man muss fragen, ob jemand eine Kette verloren hat«, sagte Walter, »und dann lässt man sie sich beschreiben. Oder noch besser: Sie hätten zur Polizei gehen und fragen sollen, ob es in der Gegend einen Einbruch gegeben hat, und von da aus weitersuchen, oder?«
»So ähnlich haben sie es gemacht. Ein paar Straßen weiter haben sie ein Geschäftsviertel gefunden, da gab es ein Antiquitätengeschäft. Es gehörte einem Holocaustopfer.«
»Einer von denen, die die Nazis umbringen wollten.«
»Stimmt.« Wieder war sie erstaunt, dass sie ihm den Holocaust nicht erklären musste. Walter hatte skeptisch reagiert, als sie gesagt hatte, sie bräuchte Damenbinden, obwohl er über die Menstruation Bescheid wusste; er hatte sie nur für zu jung gehalten. »Ich dachte, wenn es so weit ist, bekommt man Brüste«, hatte er gesagt, und sogar er hatte gemerkt, dass er ihre Gefühle verletzt hatte. Später erklärte er, er habe zwar eine Schwester, die sei aber dreizehn Jahre älter als er, und er wisse nicht viel über Mädchengeheimnisse, wie er es nannte.
»Der Juwelier war ganz alt und gebeugt, und er hatte eines von diesen Dingern, mit denen sich Juweliere Sachen ganz genau ansehen.« Einen Herzschlag lang wartete sie ab, ob das zu den seltsamen Sachen gehörte, die Walter kannte, aber er warf nichts ein, und sie hatte keine Ahnung, wie das Ding hieß. »Mr. Steinbeck hat ihn gefragt, ob er vor Kurzem für jemanden eine Kette repariert hat.«
»Vielleicht war der Kunde gerade auf dem Weg zu ihm«, sagte Walter. Ständig musste er diskutieren. »Davon hätte der Juwelier nichts gewusst.«
»Aber die Kette war nicht kaputt, sie war poliert und glänzte. Er war sich ziemlich sicher, dass jemand sie auf dem Heimweg verloren hat. Und er hatte recht. Ein junges Mädchen hatte eine Kette von seiner Mutter weggebracht,
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