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Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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Walter seinen Vater für schrullig gehalten. Jetzt, mit seinen sechsundvierzig Jahren, fragte er sich, ob es am Alter lag, ob die Ohren mit der Zeit einfach ermüdeten.
    Sechsundvierzig. Sein Vater war fast genauso alt gewesen, als Walter zur Welt kam, seine Mutter ein paar Jahre jünger. Er war ein Nachzügler, und er wusste genau, wann er gezeugt worden war: an Heiligabend, vielleicht in der ersten Stunde des ersten Feiertags, nachdem seine Mutter etwas Apfelbrand intus hatte. Das ließ sich leicht festlegen, hatte ihm seine Schwester einmal erzählt. An diesem Tag hätten seine Eltern das einzige Mal in diesem Jahr Sex gehabt, wahrscheinlich zum letzten Mal überhaupt. Vielleicht wollte sie ihn auch nur aufziehen. Sie war dreizehn Jahre älter als Walter und hätte es besser wissen müssen, aber sie hatte ihn immer gemein behandelt und war eifersüchtig gewesen auf ihren kleinen Bruder. Er glaubte, dass sie ihn nicht leiden konnte, weil er das gute Aussehen abbekommen hatte, das ihr fehlte. Hässlich wie die Nacht , wie man so sagte, und obwohl Walter an sich nichts gegen die Nacht hatte, fand er die Beschreibung passend. Seine Mutter beschrieb seine Schwester als unscheinbar, dabei war Belle – welch unglücklicher Name – hässlich, schreiend hässlich, sie schielte, hatte eine große Nase und ein Kinn wie eine Hexe. Sie hatte Glück, dass sie einen Mann gefunden hatte, der sie heiraten wollte. Noch dazu einen, der ganz gut aussah und ordentlich verdiente. Manche Männer besaßen einfach keine Selbstachtung.
    Belle war die einzige Verwandte, die ihm geblieben war, und sie hatte den Kontakt zu ihm abgebrochen, nachdem seine Eltern gestorben waren, beide Schlag auf Schlag, innerhalb von sechs Monaten. Seinen Vater hatte der Lungenkrebs erwischt, und seine Mutter war den Folgen ihrer Diabetes-Erkrankung erlegen. Beide waren über siebzig gewesen, aber Belle hatte ihm die Schuld gegeben und gesagt, sie seien aus Schande darüber gestorben, seine Eltern zu sein. Warum stirbst du dann nicht? , hatte Walter gefragt. Belle hatte geantwortet, sie habe zum Glück einen anderen Namen und würde längst in einer anderen Stadt wohnen, dadurch sei ihr ein Leben als Walter Bowmans Schwester erspart geblieben, sonst wäre sie vielleicht auch schon tot. Was er für Schwachsinn gehalten hatte. Seine Verhaftung und die Verhandlungen hatten seinen Eltern zweifellos zugesetzt, aber – Lungenkrebs und Diabetes! Die Männer in Sussex I konnten Gott nicht das Wasser reichen, wenn es um schmerzvolles, langsames Töten ging. Auch der schlimmste Fall hier drin hatte nicht mehr als ein paar Stunden gebraucht, um zu töten. Gott nahm sich Monate, Jahre Zeit.
    Außerdem waren seine Eltern nicht gleich im Anschluss tot umgefallen. Beide hatten noch sieben, acht Jahre geschafft. Belle hatte nur nach einer Ausrede gesucht, um ihn fallen zu lassen. Sie ging schon auf die sechzig zu, ihre eigenen Kinder waren erwachsen und bereiteten ihr höchstwahrscheinlich ebenfalls Kummer. Und er würde sterben, bevor er fünfzig war, wenn es nach dem Staat Virginia ging. In diesem Jahr hatte er genau die Hälfte seines Lebens im Gefängnis verbracht. Manche sahen darin wohl eine gewisse Ordnung, dachte Walter, eine gefällige Symmetrie.
    Walter war anderer Ansicht.
    Er seufzte und probierte mehrere Techniken aus, die bei Schlaflosigkeit empfohlen wurden – Atemübungen, zählen, seinen Geist leeren, mit dem Mantra meditieren, das Barbara ihm beigebracht hatte –, aber er merkte schon, dass er in dieser Nacht wieder einmal wach liegen würde. Manchmal fragte er sich, ob ein Teil seines Verstandes nach mehr Zeit gierte, die er bei Bewusstsein war, als würde er um jede wache Minute kämpfen. Schon gut, Kumpel , beruhigte er sein ängstliches Unterbewusstsein. Du musst mich noch nicht abschreiben. Vielleicht haben wir noch Jahre vor uns. Erstaunlich schwierig, die beiden Teile seines Verstandes dazu zu bringen, miteinander zu reden.
    Der 25. November! , brüllte seine ängstliche Hälfte. Noch weniger als zwei Monate. Und du konntest heute nicht mal mit ihr reden!
    Schon gut , sagte er. Ist nicht schlimm.
    Walter war nicht im Geringsten beunruhigt, weil Elizabeth ihr Gespräch so schnell beendet hatte. Er nahm an, dass es um etwas Ernstes ging und mit Sicherheit nicht darum, ihren Mann vom Flughafen abzuholen. Witzig, dass sie immer noch ums Verrecken nicht lügen konnte. Es war auf jeden Fall etwas Ernstes, aber nichts erschreckend Ernstes, kein

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