Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
verletztes Kind. Das hätte er ihr angehört. Doch es ging um eines der Kinder. Was konnte bei Kindern ernst sein, wenn sie nicht verletzt waren? Er wusste es nicht.
Er bezweifelte nicht, dass Elizabeth eine gute Mutter war. Trotzdem war er immer noch enttäuscht, dass sich ihr Leben darauf beschränkte, dass sie nicht mehr aus diesem wunderbaren Geschenk gemacht hatte. Widersinnig, sicher, schließlich hatte er immer dafür plädiert, Frauen sollten sich auf ihre natürlichen Rollen rückbesinnen. Aber damit hatte er nicht alle gemeint, sondern nur die Frauen, die es übertrieben, die sich für Männer hielten. Tatsächlich hatte er Elizabeth gar nicht immer als Frau betrachtet, aber er konnte verstehen, dass die Leute das unlogisch fanden.
Der Typ, den sie heute mit Tritten begrüßt hatten, hatte einer siebenundachtzig Jahre alten Frau die Handtasche gestohlen und sie anschließend vergewaltigt und getötet. Widerlich. Walter verstand so jemanden einfach nicht, und er verstand auch nicht die Leute, die das von ihm erwarteten. Die Außenwelt machte zwischen den Männern in Sussex I keinen Unterschied, sie sah nur einen Haufen von Monstern und Wilden. Aber dass ihre Verbrechen in die gleiche Kategorie fielen, machte die Männer noch nicht gleich. Ohne die dumme Metallkassette, die man am Straßenrand gefunden hatte, säße er vielleicht gar nicht hier. Sie hatten zwar die Anklagen wegen Kidnapping und Vergewaltigung, aber die hätte ein geschickter Anwalt herunterhandeln können. Nicht, dass er damals einen geschickten Anwalt gehabt hätte. Jetzt hatte er einen in Jefferson D. Blanding, von dem Walter vermutete, dass er Jefferson Davis Blanding hieß, nach dem Präsidenten der Konföderierten Staaten, und dass er so dumm war, sich dafür zu schämen. Walter hatte zwar nichts für Jefferson Davis übrig und hätte sofort jeden daran erinnert, dass sich West Virginia lieber von Virginia losgesagt hatte, als sich den Konföderierten Staaten anzuschließen, aber für seinen Namen war niemand verantwortlich.
Für seine Taten schon. Und auch wieder nicht. Er hatte getan, was man ihm vorwarf. In einem anderen System hätte er seine Verbrechen vielleicht eher zugegeben. Ein Teil von ihm hätte gern die ganze Geschichte erzählt, wobei der Haken war, dass er seine eigenen Verbrechen erst verstand, nachdem er jahrelang darüber hatte nachdenken können. Bei allen Demütigungen in Sussex I blieb diese einzige Freiheit, die in der Außenwelt fehlte. Man kam zum Nachdenken. Reichlich. Walter hatte über seine Taten nachgedacht, und ihm war klar, dass er nie außerhalb des Gefängnisses leben könnte. Er gehörte hierher. Wäre er ein Wissenschaftler gewesen, hätte er nach einer Methode gesucht, das Leben der Häftlinge zu verlängern, damit sie mehrfach lebenslängliche Strafen verbüßen konnten. Er schuldete Holly Tackett ein Leben, und er schuldete Maude Parrish ein Leben. Und ja, auch den anderen Mädchen, aber es war nicht seine Schuld, dass er diese Verbrechen nie gestanden hatte. Das System war schuld, weil es ihm einen Handel verweigert hatte und ihm keinerlei Macht zugestehen wollte. Nehmt die Todesstrafe vom Tisch, dann erzähle ich euch alles, hatte er mehrmals gesagt, aber das wollten sie nicht einmal in Erwägung ziehen. Gerechtigkeit für eine – das reiche Mädchen, die Arzttochter – wog schwerer als Gerechtigkeit für alle. Das war nicht richtig.
Bei seiner Situation, wie er es nannte, machte ihm außerdem zu schaffen, dass er vor Gericht von seinesgleichen beurteilt werden sollte, wobei er nicht verstand, wie die Geschworenen das sein konnten. Er war nicht so dumm, diese Floskel wörtlich zu verstehen und zu glauben, es müssten ein Dutzend Walter Bowmans gefunden werden. Trotzdem, was sollte seinesgleichen sein? Unter seinen Geschworenen befanden sich zum Beispiel Frauen, und bei allem Respekt konnten sie seiner Meinung nach absolut nicht verstehen, was er für vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit hielt, für die aufgestaute Energie eines jungen Mannes, der Wertvolles zu bieten hatte, aber niemanden fand, der das begriff. Mit dem Internet heutzutage hätte er keine Probleme, eine Frau zu finden. Soweit er den Anzeigen von Partneragenturen und Zeitungsartikeln entnehmen konnte, hatte die Technik dazu geführt, dass man sich wieder richtig umwarb. Er hatte sich als junger Mann so gehetzt gefühlt, so unruhig und vorschnell. Konnten Frauen das überhaupt nachvollziehen? Wussten sie, wie es war, im
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