Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
eingegraben zu haben schien.
Gemma hielt ihren Dienstausweis hoch. »Ich möchte mit Ihnen über Harriet Novak sprechen.«
»Was hat das Gör denn ausgefressen? Eine Bank ausgeraubt?« Mrs. Bletchley kicherte über ihren Witz und setzte dann einigermaßen gnädig hinzu: »Na, dann kommen Sie
wohl besser mal rein.« Sie wandte sich ab und überließ es Gemma, ihr in das dunkle, enge Wohnzimmer zu folgen, das von dem immer noch voll aufgedrehten Fernseher dominiert wurde. Der Rest des Zimmers wurde fast zur Gänze von einer dreiteiligen Couchgarnitur eingenommen, deren geblümter Mokettbezug sich fürchterlich mit dem verblichenen und abgelaufenen Teppich biss. Der strenge Geruch von Katzenurin ließ Gemma angewidert die Nase rümpfen. Was hatte Laura Novak sich nur dabei gedacht, ihr Kind hier seinem Schicksal zu überlassen?
»Mrs. Bletchley«, sagte sie und erhob die Stimme, um den Fernseher zu übertönen, »können Sie mir sagen, wann Sie Harriet zuletzt gesehen haben?«
Die Frau ließ sich auf dem Sofa nieder, ohne Gemma einen Platz anzubieten – nicht, dass Gemma darauf erpicht gewesen wäre, auf diesen Möbeln zu sitzen, aber wenn sie stand, konnte sie Mrs. Bletchley nicht so leicht in die Augen sehen.
Eine hellbraune Katze kam aus der Küche hereingeschlichen. Ebenso knochig und dürr wie ihre Herrin, warf sie Gemma einen bösen Blick zu und begann dann, ihre Pfoten abzulecken.
»Wann haben Sie Harriet das letzte Mal gesehen?«, wiederholte Gemma und stellte sich so, dass sie der Frau die Sicht auf den Fernseher nahm.
Mrs. Bletchley verzog missmutig das Gesicht, doch sie griff nach der Fernbedienung und schaltete den Ton aus. »Kein Grund, so rumzuschreien. Eine echte Nervensäge, das Kind. Dauernd gab es irgendwas zu meckern. Das Fräulein mag keine Fischstäbchen zum Abendessen, das Fräulein mag lieber Hamburger. Das Fräulein mag keine Cornflakes zum Frühstück, das Fräulein mag lieber Waffeln. Was glaubt die denn, was ich mir mit meiner Rente alles leisten kann?«
Gemma, deren Geduldsfaden jetzt kurz vor dem Zerreißen stand, setzte erneut an: »Mrs. Bletchley …«
»Wenn Sie wissen wollen, wann ich sie das letzte Mal gesehen habe – das war, als sie in das Auto eingestiegen ist.«
Gemma hatte das Gefühl, dass ihr das Herz in den Magen sackte. »Welches Auto? Wann war das?« Allen Bedenken zum Trotz ließ sie sich auf das Sofa sinken und beugte sich zu der alten Frau hinüber.
»Na, am Freitagmorgen ist das gewesen, wann denn sonst? Ich bin mit den Katzen raus, nachdem sie in die Schule gegangen ist. Ich konnte sie noch sehen, wie sie sich da am Schultor rumgedrückt hat. Und dann hat ein Auto vor dem Tor gehalten, und sie ist eingestiegen.«
»Sie wollen sagen, Harriet hat Donnerstagnacht bei Ihnen geschlafen?«, fragte Gemma, bemüht, einen festen Bezugspunkt zu finden.
»Was soll ich denn sonst damit gemeint haben? Ihre Mutter musste arbeiten und hat mich in letzter Minute angerufen. Verdammt ungelegen kam mir das, ich hatte ja nichts im Haus, was nach Fräuleins Geschmack war. Zu meiner Zeit …«
»Mrs. Bletchley, haben Sie Laura Novak am Donnerstagabend gesehen?«
»Sie hat mir nur schnell das Geld gegeben und ist dann gleich weiter. Ich lasse mich immer bar bezahlen, dann muss ich nicht extra zur Bank.«
»Um wie viel Uhr war das?«
»Muss schon fast zehn gewesen sein. Als sie gegangen ist, fingen gerade die Nachrichten an. Wenigstens musste ich dem Balg kein Abendessen machen.«
»Hat Laura Novak Ihnen gegenüber erwähnt, dass sie verreisen wollte?«
Mrs. Bletchley starrte Gemma an, als hätte sie den Verstand verloren. »Ich hab Ihnen doch gesagt, sie ist gleich wieder gefahren. ›Guten Tag, auf Wiedersehen‹ – immer in Eile, diese Frau.«
Gemma war der Verzweiflung nahe. »Hat Harriet denn irgendetwas von einer geplanten Reise erzählt?«
»Was reden Sie denn da immer von einer Reise? Warum sollte sie mir so was erzählen?«
»Mrs. Bletchley, Harriet und ihre Mutter sind anscheinend spurlos verschwunden. Können Sie mir das Auto beschreiben, in das Sie Harriet haben einsteigen sehen?«
Die Frau zuckte mit den Achseln. »Es war dunkel. Ziemlich neu war es. Vielleicht blau oder auch grün.« Sie runzelte die Stirn, und die Falten gruben sich noch tiefer ein. »Ich glaube, es war grün.«
»Dunkelgrün?« Gemmas Herz sackte noch ein Stück tiefer, als ihr die Konsequenzen klar wurden.
»Sind Sie taub?«
»Es tut mir Leid. Ich will nur ganz sichergehen. Könnte
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