Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
Gesicht. »Ich hab ihm doch schon alles gesagt, was ich …«
In diesem Moment ging mit ohrenbetäubendem Getöse der Alarm los, und die Männer wandten sich ab und rannten los, um ihre Ausrüstung zu holen. Rose folgte ihnen auf dem Fuß. Noch nie seit ihrem ersten Tag auf der Wache von Southwark hatte sie sich so allein gefühlt.
14
Wir fuhren, so nahe es ging, an das Feuer heran.
Wenn man das Gesicht gegen den Wind hielt,
wurde man vom Funkenregen fast verbrannt.
Samuel Pepys, Tagebuch (Beschreibung der großen Londoner Feuersbrunst von 1666)
Harriet erwachte, als es im Zimmer fast unmerklich heller zu werden begann. Sie blieb in dem schmalen Bett liegen und sah zu, wie sich die Schatten nach und nach zu vertrauten Umrissen formten und das Rechteck des Fensters von einem etwas helleren Schwarz über ein perlmuttartiges Rosa in ein mattes Grau überging. Komisch – sie hatte gar nicht gewusst, wie lange es dauerte, bis die Nacht zum Tag geworden war und umgekehrt, weil sie sonst immer mit anderen Dingen beschäftigt war.
Als sie genug sehen konnte, stand sie auf und benutzte den Eimer. Dann stellte sie sich ans Fenster und drückte das Gesicht an die trübe Scheibe. Schwach drang das Läuten von Kirchenglocken an ihr Ohr, und dann das Heulen einer Feuerwehrsirene. Kamen sie, um sie hier rauszuholen? Aber nein, das Geräusch wurde immer leiser, bis sie es schließlich nur noch als Echo in ihrem Kopf hörte.
Nach einer Weile, als das Licht noch stärker geworden war, begann sie, im Zimmer umherzugehen und sämtliche Ecken und Winkel abzusuchen, als ob sich über Nacht auf geheimnisvolle Weise irgendetwas verändert haben könnte.
Sie war sich jetzt noch sicherer, dass das Zimmer einmal einem Kind gehört hatte. Da war das kleine Bett, mit seinem Geruch nach alten, ängstlich verheimlichten Missgeschicken. Da war der Holzschemel, auf dem sie bei genauerem Hinsehen Spuren eines aufgemalten Musters entdeckte. In einer der Schubladen der Kommode unter dem Fenster stieß sie auf ein ramponiertes Holzpferdchen und ein vergilbtes Kartenspiel.
Und dann waren da natürlich die Bücher, allesamt zerlesen und zerfleddert, als ob die Seiten immer und immer wieder umgeblättert worden wären, so wie sie es in den letzten zwei Tagen getan hatte. Und in Peter Pan , auf der allerletzten, unbedruckten Seite, entdeckte sie schließlich die Worte, geschrieben mit einem stumpfen Bleistift in einer engen, verkrampften Handschrift, jede Zeile eine exakte Kopie der vorhergehenden.
Ich verspreche, immer brav zu sein.
Die Worte machten Harriet traurig, und sie erschreckten sie. Aber nichts machte ihr solche Angst wie die Kratzer rund um das Schlüsselloch der Zimmertür. Was war mit dem Kind passiert, das versucht hatte, sich aus diesem Zimmer zu befreien?
Sie verkroch sich unter der verschlissenen Decke, obwohl es im Zimmer warm und stickig war, und hielt das Peter-Pan-Buch an die Brust gedrückt. Sie war so hungrig, dass ihr der Magen wehtat, als ob irgendetwas von innen daran nagte. Es war schon spät, das sah sie an der Art, wie das Licht sich änderte, aber die Frau hatte ihr immer noch kein Frühstück gebracht.
Wo war ihr Papa? Was konnte ihn dazu gebracht haben, sie hier in diesem Haus mit der fremden Frau allein zu lassen? Warum hatte er sie überhaupt vor der Schule abgeholt, obwohl es doch gar nicht sein Wochenende war? Sie runzelte die Stirn und versuchte angestrengt, die wirren Gedanken in ihrem Kopf zu ordnen.
Sie erinnerte sich, dass ihr Vater etwas von einer Überraschung gesagt hatte, und dass er dabei ein bisschen komisch geschaut hatte; er hatte nervös und aufgeregt gewirkt und mit seinen langen Fingern auf dem Lenkrad herumgetrommelt. Sie erinnerte sich auch, dass die Frau sich umgedreht und sie angelächelt hatte und dass ihr Vater ihr den Namen der Frau gesagt hatte, aber sie hatte ihn vergessen. Es war, als ob an der Stelle in ihrem Kopf, wo die Erinnerung sein sollte, ein großes Loch wäre. Nur noch Bruchstücke schwirrten da herum – Starbucks, die heiße Schokolade …
Hatte die Frau ihr etwas in die Tasse getan, was es ihr schwerer machte, sich zu erinnern? Es war ein einziges, Schwindel erregendes Durcheinander von Bildern, das sie an das Kaleidoskop erinnerte, das ihr Vater ihr einmal zu Weihnachten geschenkt hatte.
Plötzlich tauchte Mrs. Bletchleys Gesicht aus dem Chaos auf, der Blick finster, die Stirn in misstrauische Falten gezogen. Mrs. Bletchley hatte sie von ihrer Haustür
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