Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
eigentlich mit diesem Verrückten?«
»Lass nur, der wird mir schon nichts tun.« Tony Novak war nicht wieder aufgetaucht, und sie hatte zurzeit weiß Gott dringendere Probleme.
Während sie ins Auto stieg, wurde ihr bewusst, dass sie ihren Lügen, die sie längst schon nicht mehr zählen konnte, gerade noch eine weitere hinzugefügt hatte. Es war nicht etwa so, dass sie ins Büro fahren musste , sie brachte es einfach nicht fertig, nicht hinzugehen.
Als sie bald darauf durch die Southwark Street ging, stellte sie fest, dass das Absperrband der Polizei immer noch um Yarwoods Lagerhaus herum im Wind flatterte wie die Schleifen an einem riesigen Weihnachtspaket, und dass der Brandgeruch immer noch in der Luft hing wie dichter Nebel. Sie zog den Kopf ein, als sie den Eingang passierte, und sie fragte sich, ob sie jemals wieder an dem Gebäude würde vorbeigehen können, ohne die Sanitäter vor sich zu sehen, wie sie ihre grausige Last vorsichtig zur Tür hinausmanövrierten.
Die Bewohnerinnen des Frauenhauses waren auch völlig verstört. Kath hatte den ganzen gestrigen Tag – ohne Jasons Hilfe – damit zugebracht, ihnen Mut zuzusprechen und zu versuchen, die Gerüchte zum Verstummen zu bringen, die wie Gespenster im Haus umherschwirrten.
Sie fand Jason wie erwartet im Büro. Er stand über einen Aktenschrank gebeugt, und sie verharrte zunächst an der Tür und beobachtete ihn schweigend. Sie wusste, dass er sie bemerkt hatte, aber sie wusste auch, dass er sich nicht zu ihr umdrehen würde, bis sie ihn selbst ansprach.
Wie üblich, wenn er sonntags ins Büro kam, trug er Jeans und T-Shirt anstatt der Designerhemden und schicken Krawatten, die er während der Woche bevorzugte, und der Kontrast zwischen den verwaschenen Klamotten und seinen feinen, weichen Gesichtszügen ließ ihr den Atem stocken. Gott, man
hätte doch meinen können, die bittere Erkenntnis der eigenen Dummheit wäre Heilmittel genug, aber stattdessen bewirkte die Selbsterkenntnis nur, dass sie ihre eigene Lust verachtete.
»Wie war’s bei deiner Tante?«, fragte sie, als sie das Schweigen nicht mehr ertragen konnte.
Jason hob den Kopf. »Großtante. Sie ist gestürzt. Sie brauchte Mutters Hilfe, und du weißt ja, dass meine Mutter nicht Auto fährt. Es ging nicht anders, Kath.« Seine Stimme war kühl und leidenschaftslos, die Botschaft klar. Sie ging ihm auf die Nerven mit ihrem Gejammer, und er würde sich nicht dafür entschuldigen, dass er sie an einem so chaotischen Samstag im Stich gelassen hatte – und auch für nichts sonst.
Sie trat ins Zimmer, setzte sich auf die Kante ihres Schreibtischs und tat so, als sortierte sie irgendwelche Papiere. »Du hast ganz schön was verpasst. Tony Novak ist hier aufgekreuzt und hat uns beschuldigt, wir hätten seiner Frau geholfen, mit ihrer Tochter zu verschwinden.«
Jason runzelte die Stirn und verharrte mit dem Blatt in der Hand, das er gerade ablegen wollte. »Dr. Novak? Wie kommt er denn dazu?«
»Er sagt, Laura habe ihm gedroht, und jetzt ist sie angeblich spurlos verschwunden, und das kleine Mädchen auch.«
Das Dokument glitt fein säuberlich an seinen Platz im Hängeregister, und Jason schloss den Aktenschrank. »Nicht sehr klug von ihr, ihn vorzuwarnen, wenn sie vorhatte unterzutauchen. Aber ich finde es merkwürdig, dass sie sich nicht an uns gewandt hat.«
Kath fuhr sich mit der Kuppe des Daumens über einen rauen Fingernagel. »Ich dachte, du hättest vielleicht nur vergessen, es mir zu sagen.«
»Ich?« Sein breiter Mund zuckte gereizt. »Red doch keinen Unsinn, Kath. Du weißt doch, dass Laura mich nicht besonders leiden kann. Wenn sie sich an jemanden hier im Haus gewandt hätte, dann an dich.« Er betrachtete sie eingehend. »Hör
mal, wenn es wegen neulich Abend ist, da ist mir was dazwischengekommen.«
»Ich habe gewartet«, erwiderte sie und spuckte die Worte aus wie Galle. »Und du hast mich wie eine Idiotin sitzen lassen.«
»Es dreht sich nicht immer alles nur um dich, Kath. Hast du daran mal gedacht? Du hast ja keine Ahnung, wie es für mich ist, diese Situation zu Hause. Meine Mutter ist schwierig. Und an dem Abend war es besonders schlimm.«
»Deine Mutter?«, spie sie ihm entgegen. »Ich habe meine Kinder angelogen …«
»Es ist nicht meine Schuld, wenn du ein schlechtes Gewissen hast. Jetzt hör endlich auf damit, Kath.«
Sie starrten einander an, bereit zu einem ausgewachsenen Krach. Doch dann wandte Jason sich zu ihrer Verblüffung ab. »Ich war hier,
Weitere Kostenlose Bücher