Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
war, hatte ich das Haus immer voller Studenten.« Sie erhob sich mühsam. »Aber ich lasse Sie beim Abwasch helfen, wenn ich Ihnen dabei Gesellschaft leisten darf.« Zusammen trugen sie das Geschirr in die Küche.
Gemma ließ heißes Wasser in die Spüle laufen und überredete Erika dazu, sich an den Küchentisch zu setzen. »Ihr Name hat ja wieder mal in der Zeitung gestanden«, sagte die alte Dame. »Ich habe Ihren Fall mit Interesse verfolgt. Gibt es irgendetwas Neues von dem vermissten Kind?«
Gemma schüttelte den Kopf. »Nein. Und mit jedem Tag, der vergeht, wird es unwahrscheinlicher, dass sie noch gefunden wird.«
»Oh, das tut mir wirklich Leid. Das muss ja für alle Beteiligten furchtbar schwer sein.«
Gemma konnte nur nicken. Allem Anschein nach war die Sechsjährige einfach zur Haustür hinausgegangen, während ihre Mutter in der Küche beschäftigt war, und am helllichten Tag spurlos verschwunden. Die Banalität des Vorgangs erschreckte Gemma mehr als alles andere.
»Sie können Ihre Kinder nicht vor allen Gefahren schützen«, sagte Erika leise, als könnte sie Gemmas Gedanken lesen. »Sie können nur tun, was Ihnen vernünftig erscheint, und auf das Schicksal vertrauen.«
Gemma drehte sich so plötzlich um, dass das Spülwasser von ihren Händen auf den Küchenboden tropfte. »Wie können ausgerechnet Sie auf das Schicksal vertrauen?« Erika, eine deutsche Jüdin, hatte ihre gesamte Familie im Krieg verloren.
»Weil die einzige Alternative wäre, in beständiger Angst zu leben, und das scheint mir nicht sehr erstrebenswert. Außerdem ziehe ich es vor, meine Energie in die Förderung vielversprechender junger Menschen zu investieren, wie Ihr Sohn einer ist. Hat er übrigens mal von seinem Vater gehört – oder sollte ich ›Stiefvater‹ sagen? Ich weiß nie, wie ich ihn nennen soll.«
»Mir fallen auf Anhieb eine ganze Menge Bezeichnungen für Ian ein«, meinte Gemma mit finsterer Miene. »Aber nein, Kit hat schon länger nichts mehr von ihm gehört. Das neue Semester an der Uni nimmt ihn wohl ganz in Anspruch – und seine neue Frau anscheinend auch.« Sie wandte sich wieder dem Geschirr zu. »Aber er hat immerhin eine eidesstattliche Erklärung für das Familiengericht geschickt, worin er als Kits gesetzlicher Vertreter darlegt, dass es seiner Meinung nach das Beste für Kit ist, wenn er bei uns lebt und nicht durch einen Umzug nach Kanada wieder aus seinem gewohnten Umfeld gerissen wird. Und er schreibt auch, dass jeglicher Kontakt mit seiner Großmutter Kits emotionales Gleichgewicht beeinträchtigen würde.«
»Und trotzdem will die Großmutter nicht darauf verzichten, sich das Sorgerecht zu erstreiten?«
»Ja. Unsere erste Anhörung ist am Montag.«
Erika dachte eine Weile schweigend darüber nach, dann sagte sie: »Selbst meine Toleranz hat ihre Grenzen. Es wird Zeit, dass irgendjemand dieser Frau mal so richtig die Meinung sagt, damit sie endlich zur Vernunft kommt.«
Die Abenddämmerung malte schon dunkle Schatten in die Ecken des Gartens, als Rose vom Computer aufstand und den Stuhl mit einer frustrierten Geste unter den Tisch schob. Der Wintergarten neben der Küche mit der eingebauten Computerecke war eines der letzten Projekte ihres Vaters gewesen. Unter gewöhnlichen Umständen war dies ihr Lieblingsplatz, wo sie oft stundenlang arbeiten, lesen oder einfach nur tagträumend in den Garten hinausschauen konnte.
Doch an diesem Nachmittag war ihr Blick immer wieder zwischen dem Telefon und der Uhr hin und her gegangen, und ihre Unruhe und Nervosität hatten sich von Minute zu Minute gesteigert. Sie war eine Runde gelaufen und hatte geduscht, anschließend hatte sie versucht, etwas zu schlafen, doch sie schreckte aus Albträumen hoch, an die sie sich nur bruchstückhaft erinnerte. Schließlich hatte sie es aufgegeben, hatte Kaffee gekocht und sich die Feuerwehrdaten noch einmal vorgenommen in der Hoffnung, irgendetwas zu finden, was sie bisher übersehen hatte, während sie auf Brandmeister Farrells Anruf wartete.
Doch das Telefon hatte nicht geklingelt, und mit jeder Stunde, die verstrich, kam sie sich törichter vor, weil sie überhaupt versucht hatte, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Wieso hatte sie sich eingebildet, etwas entdeckt zu haben, was das Ermittlungsteam nicht auch allein herausfinden würde? Und selbst wenn es so wäre, was würde das bringen? Niemand konnte irgendetwas beweisen, und nichts konnte den Ermittlern helfen, den Ort des nächsten Brandes vorauszusagen.
Weitere Kostenlose Bücher