Denn vergeben wird dir nie
saß der Nachtportier. »Hat
irgendjemand nach Miss Cavanaugh gefragt?«, fragte ihn
Pete.
»Nein, Sir.«
»Irgendwelche Nachrichten?«
»Mr. Longo und Mrs. Hilmer haben angerufen.«
»Danke.«
Am Fuß der Treppe legte er die Hände auf meine
Schultern. »Ellie, ich weiß, dass Sie die Sache auf eigene
Faust zu Ende bringen wollten, und ich habe das
verstanden. Aber jetzt können Sie nicht mehr alleine
weitermachen. Sie brauchen jetzt uns.«
»Uns?«
»Ihren Vater, Teddy, mich.«
»Sie haben mit meinem Vater gesprochen, stimmt’s?«
Er tätschelte meine Wange. »Natürlich habe ich das.«
52
IN DIESER NACHT schlief ich unruhig. Ich wurde von
einem Angsttraum geplagt. Andrea schlich durch den
Wald. Ich versuchte, sie zurückzurufen, aber sie hörte
mich nicht, und ich sah voller Verzweiflung, wie sie am
Haus der alten Mrs. Westerfield vorbeirannte und in der
Garage verschwand. Ich versuchte, ihr eine Warnung
zuzurufen, aber auf einmal tauchte Rob Westerfield auf
und scheuchte mich fort.
Ich wachte vom schwachen Geräusch meiner eigenen
Stimme auf, die gequält um Hilfe rief. Es hatte gerade zu
dämmern begonnen, und ich sah, dass ein weiterer grauer,
bewölkter, kalter Tag anbrach, wie sie für Anfang
November typisch sind.
Schon als Kind empfand ich die ersten beiden
Novemberwochen als bedrückend, im Gegensatz zur
zweiten Monatshälfte, in der die festliche Stimmung von
Thanksgiving in der Luft lag. Aber die ersten beiden
Wochen schienen immer endlos lang und eintönig. Seit
Andreas Tod waren sie außerdem für immer verbunden
mit der Erinnerung an die letzten Tage, die wir zusammen
verbracht hatten. Bis zu ihrem Todestag blieben nur noch
ein paar Tage.
Mit diesen Gedanken lag ich wach in meinem Bett und
sehnte mich nach ein oder zwei weiteren Stunden Schlaf.
Der Traum war nicht besonders schwer zu deuten.
Einerseits stand Andreas Todestag bevor, und andererseits
wusste ich nur zu gut, dass Rob Westerfield außer sich vor
Wut sein musste über die letzten Informationen auf meiner
Website. Beides lag mir auf der Seele.
Ich musste äußerst vorsichtig sein.
Um sieben Uhr rief ich den Zimmerservice an; dann
begann ich an meinem Buch zu arbeiten. Um neun Uhr
duschte ich, schlüpfte in meine Kleider und rief
Mrs. Hilmer an.
Entgegen alle Vernunft hoffte ich, dass sie sich daran
erinnert hatte, warum ihr der Name »Phil« im Gedächtnis
geblieben war und sie mir das gestern mitteilen wollte.
Aber selbst als ich sie jetzt danach fragte, schien es mir
fast ausgeschlossen, dass ihr irgendetwas eingefallen sein
könnte, was mit Rob Westerfields grausiger Prahlerei in
Zusammenhang stünde.
»Ellie, ich konnte an nichts anderes mehr denken als an
diesen Namen«, sagte sie seufzend. »Ich habe Sie gestern
Abend angerufen, um Ihnen zu sagen, dass ich mit meiner
Freundin gesprochen habe, die noch Kontakt zu Phil
Oliver hat. Ich habe Ihnen davon erzählt. Phil Oliver ist
der Mann, dem der Pachtvertrag nicht verlängert wurde
und der deswegen einen ziemlich heftigen Streit mit Rob
Westerfields Vater hatte. Meine Freundin hat mir erzählt,
er sei jetzt in Florida und es gehe ihm recht gut, aber er sei
immer noch sehr verbittert über die Art und Weise, wie
man ihn behandelt hatte. Er liest Ihre Website regelmäßig
und ist begeistert davon. Er sagt, wenn Sie die Absicht
hätten, eine weitere Website zu eröffnen, um der
Öffentlichkeit mitzuteilen, was für eine Art von Mensch
Robs Vater sei, dann sei er gerne bereit, sich mit Ihnen zu
unterhalten.«
Interessant, dachte ich, aber keine Information, die mir
momentan weiterhilft.
»Ellie, was auch immer ich über einen Phil gehört oder
gelesen habe – das Einzige, was ich sicher weiß, ist, dass
es erst vor kurzem gewesen sein muss. Und, falls Ihnen
das weiterhilft – es hat mich traurig gemacht.«
»Traurig?«
»Ellie, ich weiß, dass Sie damit nicht viel anfangen
können, aber ich werde es weiter versuchen. Sobald mir
etwas eingefallen ist, werde ich Sie sofort anrufen.«
Mrs. Hilmer hatte mich über den Anschluss des
Gasthauses angerufen. Ich hatte keine Lust, ihr zu
erklären, dass ich im Begriff war auszuziehen, und ebenso
wenig wollte ich etwas über Pete und seine Wohnung in
New York verbreiten. »Mrs. Hilmer, Sie haben doch
meine Handynummer, oder?«
»Ja, die haben Sie mir gegeben.«
»Ich werde in nächster Zeit viel unterwegs sein. Könnten
Sie mich unter dieser Nummer anrufen, wenn Ihnen
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