Denn vergeben wird dir nie
habe nichts davon gesagt.
Mit diesem Vorwurf werde ich mein Leben lang weiter
leben müssen. Und wenn Westerfield jetzt seinen neuen
Prozess bekommt, dann wird er vielleicht eine Menge
Leute davon überzeugen können, dass Paulie Stroebel
Andrea umgebracht hat. Ich habe sie nicht retten können,
aber ich muss versuchen, Paulie zu retten.«
»Dad hat mir gesagt, es sei seine Schuld gewesen, dass
Andrea sterben musste. Er ist zu spät nach Hause
gekommen. Einer seiner Kollegen hatte sich verlobt, und
zur Feier des Tages ist er mit ihm ein Bier trinken
gegangen. Er hatte Verdacht geschöpft und befürchtete,
dass Andrea sich immer noch heimlich mit Westerfield
traf. Er hat mir gesagt, wenn er an jenem Abend früher
nach Hause gekommen wäre, hätte er ihr nie erlaubt, zu
Joan zu gehen. Und dann wäre sie nicht in dieser Garage
gewesen, sondern zu Hause, in Sicherheit.«
Er schien an das zu glauben, was er mir sagte. War
meine Erinnerung denn vollkommen verzerrt? Nicht
vollkommen. So einfach war es nicht. Aber war mein
unermessliches Schuldgefühl – »Wenn Ellie uns doch
etwas gesagt hätte« – vielleicht nur ein Teil des gesamten
Bildes? Meine Mutter hatte Andrea nach Einbruch der
Dunkelheit allein aus dem Haus gehen lassen. Mein Vater
hatte den Verdacht gehabt, dass Andrea immer noch
Kontakt zu Rob hatte, sie jedoch deswegen nicht zur Rede
gestellt. Meine Mutter wollte unbedingt in diese damals
noch ländliche und einsame Gegend ziehen. Mein Vater
war wohl zu streng zu Andrea gewesen; seine Versuche,
sie zu beschützen, hatten sie erst rebellisch gemacht. Ich
war die Eingeweihte, die von den geheimen Treffen
wusste.
Hatten wir drei uns bewusst dafür entschieden, Schuld
und Trauer fest in unserem Innern einzuschließen, oder
hätte es für uns nicht auch eine andere Möglichkeit
gegeben?
»Ellie, meine Mutter ist eine sehr nette Dame. Sie war
Witwe, als sie Dad kennen lernte. Sie weiß, was es
bedeutet, jemanden zu verlieren. Sie würde dich gerne
kennen lernen. Sie würde dir gefallen.«
»Teddy, ich verspreche dir, ich werde sie irgendwann
kennen lernen.«
»Irgendwann bald.«
»Sobald ich mit dieser Sache fertig bin. Es wird nicht
mehr lange dauern.«
»Wirst du mit Dad reden? Wirst du ihm eine Chance
geben?«
»Wenn das hier vorbei ist, dann werde ich mit ihm
zusammen essen gehen oder so etwas. Ich versprech’s dir.
Und übrigens, heute Abend gehe ich mit Pete Lawlor aus,
jemand, mit dem ich in Atlanta zusammen gearbeitet habe.
Ich möchte, dass keiner von euch mir folgt. Er wird mich
hier abholen und nachher wieder sicher hier absetzen,
großes Ehrenwort.«
»Dad wird erleichtert sein, wenn er das erfährt.«
»Teddy, ich muss jetzt auf mein Zimmer. Ich muss noch
ein paar Anrufe erledigen, bevor ich ausgehe.«
»Ich habe alles gesagt, was ich sagen wollte. Das heißt,
vielleicht doch nicht. Es gibt da noch etwas, was Dad zu
mir gesagt hat, was du wissen solltest. Er hat gesagt: ›Ich
habe eines von meinen kleinen Mädchen verloren. Ich will
nicht noch das andere verlieren.‹«
41
WENN ÜBERHAUPT SO ETWAS wie ein Hauch von
Romantik über unserer Verabredung geschwebt hatte,
dann wurde er jedenfalls rasch beiseite geschoben. Petes
Begrüßung bestand aus einem »Sie sehen toll aus«,
begleitet von einem flüchtigen Kuss auf die Wange.
»Und Sie sehen unglaublich herausgeputzt aus. Sie
sehen aus, als ob sie einen fünfzehnminütigen Großein
kauf bei Bloomingdale’s gewonnen hätten«, sagte ich.
»Zwanzig Minuten«, korrigierte er. »Ich hab Hunger, Sie
nicht?«
Ich hatte einen Tisch bei Cathryn’s reserviert, und als
wir auf dem Weg dorthin waren, sagte ich: »Eine große
Bitte.«
»Raus damit.«
»Ich möchte heute Abend nicht über das reden, was ich
in den letzten Wochen gemacht habe. Sie haben sich die
Website angesehen, also wissen Sie sowieso, was alles
passiert ist. Ich habe das Bedürfnis, für ein paar Stunden
Abstand von all dem zu gewinnen. Heute Abend ist Ihr Abend. Erzählen Sie mir, wo Sie überall gewesen sind,
seit wir uns das letzte Mal in Atlanta gesehen haben. Ich
möchte alles wissen über die Bewerbungsgespräche, die
Sie geführt haben. Und ich will wissen, warum Sie mit
Ihrem neuen Job so zufrieden sind. Sie können mir sogar
erzählen, ob es Sie große Mühe gekostet hat, sich für diese
sehr schöne und offensichtlich neue rote Krawatte zu
entscheiden.«
Pete hob fragend eine Augenbraue, eine typische
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