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Denn vergeben wird dir nie

Denn vergeben wird dir nie

Titel: Denn vergeben wird dir nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Westerfield«, sagte er. »Meine Tochter wurde
ermordet. Sie wurde erschlagen, und Ihr Enkel könnte
derjenige gewesen sein, der das getan hat. Sie wissen
ebenso gut wie ich, dass er angesichts seines Rufs sogar
als der Hauptverdächtige gilt. Ich möchte Sie deshalb
bitten, mein Haus sofort zu verlassen. Sie können von
Glück reden, dass Sie selbst noch am Leben sind.
Wahrscheinlich glauben Sie immer noch nicht, dass er in
den Überfall verwickelt war, bei dem man Sie fast
erschossen hätte?«
»Ted, wie kannst du so etwas sagen?«, rief meine Mutter
gequält. »Mrs. Westerfield, verzeihen Sie. Mein Mann …«
Das mit Menschen angefüllte Haus hätte ebenso gut leer
sein können. Alle Anwesenden verharrten in vollkomme
ner Erstarrung, wie bei dem Spiel ›Versteinert‹, das ich als
Kind gern spielte.
Mein Vater sah aus wie eine Figur aus dem Alten
Testament. Er hatte seine Krawatte abgenommen und
seinen Kragen geöffnet. Sein Gesicht war weiß wie sein
Hemd, seine blauen Augen waren fast schwarz. Er hatte
dichtes, dunkelbraunes Haar, aber in diesem Augenblick
schien es noch dichter zu sein, als ob es elektrisch
aufgeladen sei.
»Was fällt dir ein, dich für mich zu entschuldigen,
Genine«, schrie er laut. »Es gibt nicht einen Polizisten in
diesem Haus, der nicht davon überzeugt ist, dass Rob
Westerfield durch und durch verdorben ist. Meine Tochter
– unsere Tochter – ist tot. Und Sie« – er ging auf
Mrs. Westerfield zu – »Sie verlassen jetzt mein Haus, und
Ihre Krokodilstränen können Sie für sich behalten.«
Mrs. Westerfield war genauso bleich wie mein Vater
geworden. Sie antwortete nicht, sondern drückte meiner
Mutter wortlos die Hand und wandte sich dann ohne Hast
zur Tür.
Jetzt war es meine Mutter, die anfing zu reden. Sie erhob
die Stimme kaum, aber ihre Worte kamen wie
Peitschenhiebe. »Du möchtest wohl gerne, dass Rob
Westerfield derjenige ist, der Andrea ermordet hat,
stimmt’s, Ted? Du weißt, dass Andrea verrückt nach ihm
war, und das hast du nicht ertragen. Weißt du, was ich
glaube? Du warst eifersüchtig! Wenn du vernünftig
gewesen wärst und ihr erlaubt hättest, mit ihm auszugehen
oder überhaupt mit irgendeinem anderen Jungen, dann
hätte sie sich nicht heimlich verabreden müssen …«
Sie ahmte die Sprechweise meines Vaters nach:
»Andrea, du darfst nur mit einem Jungen aus deiner
Schule auf Schulfeiern gehen. Ich verbiete dir, mit ihm zu
fahren. Ich werde dich abholen und hinbringen.«
Die Wangen meines Vaters hatten sich gerötet, ob aus
Scham oder aus Wut, darüber bin ich mir bis heute nicht
im Klaren. »Wenn sie mir gehorcht hätte, wäre sie noch
am Leben«, sagte er mit leiser, aber bitterer Stimme.
»Aber du warst ja geradezu darauf aus, mit diesen
Westerfields …«
»Zum Glück bist es nicht du, der diesen Fall zu
untersuchen hat«, unterbrach ihn meine Mutter. »Was ist
mit dem jungen Stroebel? Was ist mit diesem Will
Nebels? Und was ist mit diesem Vertreter? Haben sie den
endlich ausfindig gemacht?«
»Und was ist mit dem Weihnachtsmann?« Jetzt war es
mein Vater, der die Worte voller Verachtung ausspie. Er
drehte sich auf dem Absatz um und ging zurück in sein
Zimmer zu seinen Freunden. Hinter sich schloss er die
Tür. Eine geraume Weile blieb es vollkommen still.

10
    MEINE GROSSMUTTER hatte eigentlich bei uns
übernachten wollen, aber nun hatte sie das Gefühl, es wäre
besser, wenn meine Eltern alleine wären. Deshalb packte
sie ihren Koffer und fuhr mit einer Freundin aus Irvington
mit. Sie wollte dort schlafen, und ihre Freundin bot ihr an,
sie am nächsten Morgen zum Flughafen zu bringen.
    Ihre Hoffnung, dass sich meine Mutter und mein Vater
nach dem bitteren Wortgefecht wieder versöhnen würden,
sollte sich nicht erfüllen.
    Meine Mutter schlief in jener Nacht in Andreas Zimmer
und tat dies auch in allen weiteren Nächten der darauf
folgenden zehn Monate, bis nach dem Prozess, bei dem
nicht einmal das viele Geld der Westerfields und ein
hochkarätiges Verteidigerteam Rob Westerfield davor
bewahren konnten, des Mordes an Andrea für schuldig
befunden zu werden.
    Danach wurde das Haus verkauft. Mein Vater zog
zurück nach Irvington, meine Mutter und ich begannen ein
Nomadenleben, das in Florida in der Nähe meiner Groß
mutter begann. Meine Mutter, die vor ihrer Heirat eine
Weile als Sekretärin gearbeitet hatte, bekam einen Job bei
einer landesweiten Hotelkette. Sie war nicht nur attraktiv,

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