Denn vergeben wird dir nie
begann mich bereits zu fragen,
warum ich nicht erst morgen hierher gekommen war. Ich
hatte am Montagmorgen um zehn Uhr einen Termin mit
einem gewissen Martin Brand im Büro der Bewährungs
kommission. Ich würde mein Bestes tun, ihn davon zu
überzeugen, dass Rob Westerfield nicht freigelassen
werden sollte, aber wie mir schon Pete Lawlor gesagt
hatte, würde es vermutlich ein nutzloses Unterfangen sein.
In meinem Zimmer blinkte das Nachrichtenlämpchen am
Telefon. Ich sollte Pete Lawlor dringend zurückrufen. Er
nahm beim ersten Läuten ab. »Sie scheinen ein Talent
dafür zu haben, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein,
Ellie«, sagte er. »Gerade kommt eine Meldung über den
Nachrichtenticker. In einer Viertelstunde werden die
Westerfields eine Pressekonferenz abhalten. CNN wird sie
übertragen. Will Nebels, dieser Handwerker, der im
Mordfall Ihrer Schwester verhört worden ist, hat eben die
Erklärung abgegeben, dass er in der Tatnacht Paul
Stroebel in Rob Westerfields Wagen gesehen hätte. Er
behauptet, beobachtet zu haben, wie Paul in die Garage
ging und dabei etwas in der Hand hatte, dann zehn
Minuten später wieder herausrannte, in den Wagen sprang
und wegfuhr.«
»Warum hat Nebels diese Geschichte nicht schon vor
Jahren erzählt?«
»Er behauptet, er habe befürchtet, dass jemand versu
chen würde, ihm den Mord an Ihrer Schwester in die
Schuhe zu schieben.«
»Wie kam es, dass er all das beobachtet hat?«
»Er war im Haus der Großmutter. Er hatte dort früher
Reparaturen erledigt und kannte den Code der Alarm
anlage. Er wusste, dass die Großmutter die Gewohnheit
hatte, Bargeld in irgendwelchen Schubladen im Haus
aufzuheben. Er war pleite und brauchte Geld. Er war in
ihrem Schlafzimmer, von dessen Fenstern aus man das
Gelände mit der Garage überblicken kann, und als sich die
Wagentür öffnete, hat er Stroebel deutlich erkannt.«
»Er lügt«, sagte ich ungerührt.
»Schauen Sie sich die Pressekonferenz an«, sagte Pete,
»und dann hängen Sie sich an diese Geschichte dran.
Schließlich sind Sie investigative Reporterin.« Er machte
eine Pause. »Es sei denn, die Sache geht Ihnen zu nahe.«
»Tut sie nicht«, sagte ich. »Ich werde Sie auf dem
Laufenden halten.«
12
DIE PRESSEKONFERENZ fand in White Plains im Büro
von William Hamilton, Esq., statt, dem Anwalt, den die
Westerfields beauftragt hatten, die Unschuld von Robson
Parke Westerfield zu beweisen.
Hamilton eröffnete die Konferenz, indem er sich
zunächst selbst vorstellte. Er stand zwischen zwei
Männern. Einen davon erkannte ich von Fotos her als
Robs Vater, Vincent Westerfield. Er war eine vornehme
Erscheinung, um die fünfundsechzig Jahre alt, mit
silbernem Haar und großbürgerlichem Auftreten. Auf der
anderen Seite von Hamilton stand ein sichtlich nervöser,
aus trüben Augen blickender Mann von schwer abzu
schätzendem Alter, der ständig mit seinen Händen spielte.
Er wurde als Will Nebels vorgestellt. Hamilton umriss
mit einigen Sätzen seinen Werdegang. »Will Nebels
arbeitet seit vielen Jahren in Oldham als AllroundHandwerker. Er hat öfter für Mrs. Dorothy Westerfield in
ihrem Landhaus gearbeitet, jenes Haus, in dessen Garage
Andrea Cavanaughs Leiche gefunden wurde. Wie viele
andere Personen ist Mr. Nebels damals befragt worden,
wo er sich an jenem Donnerstagabend befand, an dem
Andrea ihr Leben verlor. Mr. Nebels hat damals ausge
sagt, er habe im örtlichen Imbisslokal zu Abend gegessen
und sei danach gleich nach Hause gegangen. Er wurde in
dem Lokal gesehen, und es gab keinen Grund, seine
Aussage anzuzweifeln.
Als jedoch der bekannte Sachbuchautor Jake Bern, der
gerade an einem Buch über Andrea Cavanaughs Tod und
Rob Westerfields Unschuld arbeitet, mit Mr. Nebels
sprach, kamen neue Fakten ans Tageslicht.«
Hamilton wandte sich an Will Nebels. »Will, darf ich Sie
bitten, vor der Öffentlichkeit genau das zu wiederholen,
was Sie Mr. Bern gesagt haben?«
Nebels trat nervös von einem Fuß auf den andern. Er
fühlte sich sichtlich unwohl in Anzug, Hemd und
Krawatte, die man ihm sicher speziell für diesen Auftritt
aufgenötigt hatte. Es ist ein uralter Trick der Verteidigung,
den ich schon hunderte von Malen vor Gericht beobachtet
habe. Sorge dafür, dass der Angeklagte gut angezogen ist,
lass ihn vorher zum Friseur gehen, kontrolliere, ob er
frisch rasiert ist, zwinge ihn zu Hemd und Schlips, auch
wenn er noch nie in seinem Leben einen Kragen
zugeknöpft
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