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Denn vergeben wird dir nie

Denn vergeben wird dir nie

Titel: Denn vergeben wird dir nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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fuhr, fiel mir auf,
wie stark das ländliche Dorf, das ich in Erinnerung hatte,
mittlerweile angewachsen war. Es hatte jetzt das Aussehen
eines mittleren Städtchens, genau wie meine Mutter
vorausgesagt hatte. Mein Vater würde nicht mehr fünf
Meilen für einen Liter Milch fahren müssen.
    Ob wir hier geblieben wären oder nicht, in jedem Fall
würde meine Mutter noch leben, wenn Andrea nicht
ermordet worden wäre. Sie hätte nicht das Bedürfnis
gehabt, Erleichterung und Trost im Alkohol zu suchen.
    Mein Vater hätte irgendwann vielleicht sogar von meiner
Heldenverehrung Notiz genommen, und mit der Zeit,
vielleicht wenn Andrea aufs College gegangen wäre, hätte
er mir auch ein wenig der Aufmerksamkeit geschenkt, die
ich mir so heftig von ihm ersehnt hatte.
Ich kostete vorsichtig von der Suppe.
     
Sie schmeckte genauso, wie ich sie in Erinnerung hatte.

11
    LIZ WAR MIT EINEM Körbchen voll knusprigen Brotes
zurückgekommen. Sie blieb an meinem Tisch stehen.
»Nachdem Sie nach den Sandwiches mit Erdnussbutter
und Marmelade gefragt haben, nehme ich an, dass Sie
früher öfter hierher gekommen sind.«
    Ich hatte ihre Neugier erregt.
»Das ist lange her«, sagte ich so beiläufig wie möglich.
»Wir sind weggezogen, als ich noch ein Kind war. Jetzt
lebe ich in Atlanta.«
     
»Da war ich auch schon. Eine schöne Stadt.« Sie ging
wieder.
    Atlanta, das Tor zum Süden. Für mich erwies es sich als
gute Wahl. Die meisten meiner Mitstudenten hatten nur
eine Karriere beim Fernsehen im Sinn, während mich
schon immer das gedruckte Wort stärker angezogen hatte.
Und zuletzt hatte ich sogar begonnen, mich etwas sess
hafter zu fühlen.
    Frisch von der Universität kommende Mitarbeiter
werden bei den Zeitungen nicht sonderlich gut bezahlt,
aber meine Mutter hatte eine bescheidene Lebensver
sicherung abgeschlossen, die es mir ermöglicht hatte, eine
kleine Dreizimmerwohnung einzurichten. Ich hatte meine
Möbel preisbewusst in Gebrauchtmöbelgeschäften und bei
Räumungsverkäufen erstanden. Als die Wohnung fertig
eingerichtet war, stellte ich zu meiner nicht geringen
Bestürzung fest, dass ich unbewusst die Grundstimmung
des Wohnzimmers in unserem Haus in Oldham
nachempfunden hatte: blaue und rote Töne im Teppich.
Ein blaues Polstersofa und Sessel. Sogar eine Ottomane,
obwohl für sie kaum genug Platz vorhanden war.
    So viele Erinnerungen wurden wach: Einmal war mein
Vater im Sessel eingedöst, die langen Beine auf der
Ottomane ausgestreckt. Andrea hatte sie ohne viel
Federlesens zur Seite geschoben und sich selbst darauf
niedergelassen. Daraufhin hatte mein Vater die Augen
geöffnet und sein süßes, hübsches, goldenes Töchterchen
lächelnd betrachtet …
    Ich dagegen lief immer auf Zehenspitzen um ihn herum,
wenn er eingenickt war, um seinen Schlaf nicht zu stören.
Wenn Andrea und ich nach dem Abendessen den Tisch
abräumten, hörte ich genau hin. Bei der zweiten Tasse
Kaffee begann er, sich zu entspannen und meiner Mutter
zu erzählen, was er an jenem Tag bei der Arbeit so alles
erlebt hatte. Mein Vater, so prahlte ich vor mir selbst,
rettete anderen Leuten das Leben.
    Drei Jahre nach der Scheidung heiratete er erneut. Aber
da lag schon mein zweiter und letzter Besuch bei ihm in
Irvington hinter mir. Zu seiner Hochzeit wollte ich nicht
kommen, und ich kümmerte mich auch nicht weiter
darum, als er mir mit einer Karte mitteilte, dass ich einen
kleinen Bruder bekommen hätte. Seine zweite Ehe hatte
den Sohn hervorgebracht, den er sich bereits bei meiner
Geburt gewünscht hatte. Edward James Cavanaugh Jr. ist
mittlerweile ungefähr siebzehn Jahre alt.
    Der letzte Kontakt mit meinem Vater bestand darin, dass
ich ihm schrieb, um ihm mitzuteilen, dass meine Mutter
gestorben sei und ich den Wunsch hätte, ihre Urne möge
in den Gate-of-Heaven-Friedhof überführt und in Andreas
Grab bestattet werden. Wenn er damit nicht einverstanden
sei, würde ich sie im Grab ihrer Eltern bestatten lassen.
    Er schrieb zurück, drückte mir sein Mitgefühl aus und
teilte mir mit, dass er ganz in meinem Sinne alles Nötige
veranlasst habe. Er lud mich auch ein, ihn in Irvington zu
besuchen.
Ich schickte die Urne und lehnte die Einladung dankend
ab.
    Die Zwiebelsuppe hatte mich aufgewärmt, doch die
Erinnerungen hatten mir die Ruhe genommen. Ich
beschloss, auf mein Zimmer zu gehen, meine Jacke zu
holen und ein bisschen durch die Stadt zu fahren. Es war
erst halb drei, und ich

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