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Denn vergeben wird dir nie

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Titel: Denn vergeben wird dir nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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wandeln.

16
    PAULIE STROEBEL stand hinter dem Ladentisch, als ich
die Tür zum Delikatessengeschäft öffnete und dabei das
mit ihr verbundene Glöckchen ertönen ließ.
    Meine undeutliche Erinnerung an ihn war mit der
Tankstelle verbunden, an der er vor Jahren gearbeitet
hatte. Er hatte unser Auto voll getankt und dann die Wind
schutzscheibe eingesprüht und poliert, bis sie glänzte. Ich
erinnere mich, wie meine Mutter sagte: »Dieser Paulie ist
wirklich ein netter Junge«, eine Äußerung, die sie nie
mehr wiederholte, nachdem er zu einem der Verdächtigen
bei Andreas Mord geworden war.
    Ich glaube, dass meine Erinnerung an sein Aussehen
zum Teil – vielleicht sogar einzig und allein – auf den
Fotos gründete, die ich in den von meiner Mutter
aufgehobenen Zeitungsartikeln gesehen hatte, Artikel, die
über jedes Detail von dem Mord an Andrea und dem
Prozess berichteten. Es gibt nichts, was größeres Interesse
beim lesenden Publikum hervorruft als der Fall eines gut
aussehenden Sohnes aus reicher und prominenter Familie,
der des Mordes an einem hübschen jungen Mädchen
angeklagt ist.
    Natürlich hatte es Fotos zu diesen Artikeln gegeben: wie
Andreas Leiche aus dem Versteck in der Garage geborgen
wird; wie ihr Sarg aus der Kirche getragen wird; meine
Mutter, mit fest gefalteten Händen, das Gesicht vom
Schmerz verzerrt; mein Vater mit trostlosem Gesichts
ausdruck; ich selbst, klein und verloren; Paulie Stroebel,
verschreckt und nervös; Rob Westerfield, arrogant, gut
aussehend, grinsend; Will Nebels, mit einem unpassenden,
anbiedernden Lächeln.
    Für jene Fotografen, die darauf versessen sind,
unverfälschte menschliche Gefühle einzufangen, war es
ein gefundenes Fressen gewesen.
    Mutter hatte mir nie erzählt, dass sie diese Artikel und
das Protokoll des Prozesses aufgehoben hatte. Nach ihrem
Tod musste ich bestürzt feststellen, dass der prall gefüllte
Koffer, der uns bei allen Umzügen begleitet hatte, in
Wirklichkeit eine Pandorabüchse des Elends war. Heute
kann ich mir vorstellen, dass meine Mutter an manchen
Tagen, wenn der Alkohol sie in einen depressiven
Dämmerzustand versetzt hatte, diesen Koffer geöffnet hat,
um ihr persönliches Martyrium noch einmal zu
durchleben.
    Paulie Stroebel und seine Mutter hatten sicher schon
davon gehört, dass ich in der Stadt war. Als er aufblickte
und mich sah, erschrak er zunächst, dann jedoch erschien
ein wachsamer Ausdruck auf seinem Gesicht. Ich sog den
wunderbaren Duft nach Schinken und Gewürzen ein, der
wohl unabdingbar zu einem guten deutschen Feinkost
geschäft gehört, und für einen Augenblick standen wir uns
wortlos gegenüber und musterten uns gegenseitig.
    Paulies massiger Körper wirkte bei einem ausgewachse
nen Mann angemessener als bei dem Teenager, den ich
von den Fotos her kannte. Die ehemals dicken Backen
waren dünner geworden, und er hatte nicht mehr diesen
verschreckten Blick wie vor dreiundzwanzig Jahren. Es
war kurz vor Ladenschluss, sechs Uhr, und es befanden
sich, wie ich gehofft hatte, keine verspäteten Kunden im
Laden, die noch schnell etwas besorgen wollten.
    »Paulie, ich bin Ellie Cavanaugh.« Ich trat mit
ausgestreckter Hand an den Ladentisch. Sein Händedruck
war fest, sogar ein bisschen zu fest.
    »Ich hab gehört, dass du wieder hier bist. Will Nebels
lügt. Ich bin nicht in der Garage gewesen, damals.« Seine
Stimme klang verletzt und entrüstet.
    »Ich weiß, dass du nicht dort gewesen bist.«
»Es ist nicht fair von ihm, so etwas zu behaupten.«
Die Tür, die vom Laden nach hinten zur Küche führte,
    öffnete sich, und Mrs. Stroebel trat ein. Ich hatte sofort
den Eindruck, dass sie stets wachsam auf das leiseste
Anzeichen achtete, dass etwas mit ihrem Sohn nicht in
Ordnung sein könnte.
    Sie war natürlich gealtert, nicht mehr die apfelbäckige
Frau, die ich in Erinnerung hatte. Sie war insgesamt
magerer. Ihre Haare waren grau, das frühere Blond
erschien nur noch als leichte Schattierung, und beim
Gehen hinkte sie leicht. Als sie mich erblickte, fragte sie:
»Ellie?«, und als ich nickte, hellte sich ihre besorgte
Miene zu einem Willkommenslächeln auf. Sie eilte um
den Ladentisch, um mich zu umarmen.
    Nach meiner Zeugenaussage vor Gericht war
Mrs. Stroebel auf mich zugegangen, hatte meine beiden
Hände ergriffen und mir, den Tränen nahe, gedankt. Der
Verteidiger hatte versucht, mir die Aussage zu entlocken,
Andrea habe Angst vor Paulie gehabt, aber ich

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