Denn vergeben wird dir nie
Krawattenknoten ein paar Zentimeter
nach unten gezogen. Seine glührote Gesichtsfarbe ließ auf
ein Bluthochdruckproblem schließen.
Ohne Zweifel hatte er meine Argumentation über die
Jahre schon tausendmal in den verschiedensten Versionen
gehört.
»Miss Cavanaugh, zweimal wurde Westerfield bereits
eine vorzeitige Entlassung verweigert. Dieses Mal wird
die Entscheidung wohl dahingehend lauten, ihn
freizulassen.«
»Er wird rückfällig werden.«
»Das ist nicht sicher.«
»Es ist nicht sicher, dass er nicht wieder rückfällig
wird.«
»Vor zwei Jahren wurde ihm Haftentlassung angeboten,
wenn er den Mord an Ihrer Schwester zugeben, die
Verantwortung auf sich nehmen und Reue bekennen
würde. Er hat das Angebot nicht angenommen.«
»Ich bitte Sie, Mr. Brand. Er hatte zu viel zu verlieren,
wenn er die Wahrheit gesagt hätte. Ihm war klar, dass man
ihn nicht mehr lange in Haft behalten könnte.«
Er zuckte die Achseln. »Ich vergaß, dass Sie Reporterin
sind.«
»Außerdem bin ich die Schwester des fünfzehnjährigen
Mädchens, das so grausam aus der Mitte des Lebens
gerissen wurde.«
Der lebensüberdrüssige Ausdruck wich einen Moment
aus seinem Blick. »Miss Cavanaugh, ich habe keinerlei
Zweifel an der Schuld Rob Westerfields, aber ich glaube,
Sie werden sich damit abfinden müssen, dass er seine Zeit
abgesessen hat und dass er sich, abgesehen von ein paar
Zwischenfällen während der ersten Jahre, gut aufgeführt
hat.«
Ich hätte brennend gern erfahren, worin diese paar
Zwischenfälle bestanden hatten, aber ich war mir sicher,
dass Martin Brand sie mir nicht mitteilen würde.
»Und noch etwas«, fuhr er fort. »Auch wenn er schuldig
ist, so hat er doch das Verbrechen an Ihrer Schwester im
Affekt begangen, und die Wahrscheinlichkeit, dass er ein
solches Verbrechen noch einmal begehen wird, ist
verschwindend gering. Darüber gibt es Statistiken. Die
Rückfälligkeit sinkt nach dem dreißigsten Lebensjahr und
verschwindet fast ganz nach dem vierzigsten.«
»Es gibt aber auch Menschen, die von Geburt an kein
Gewissen kennen und, wenn sie frei herumlaufen, zu
lebenden Zeitbomben werden.«
Ich rückte den Stuhl zurück und stand auf. Brand erhob
sich ebenfalls. »Miss Cavanaugh, ich gebe Ihnen einen
guten Rat, auch wenn er nicht willkommen ist. Ich habe
den Eindruck, dass Sie Ihr ganzes Leben mit der
Erinnerung an den brutalen Mord an Ihrer Schwester
gelebt haben. Aber genauso wenig, wie Sie Ihre Schwester
ins Leben zurückholen können, genauso wenig können Sie
Rob Westerfield noch länger im Gefängnis halten. Und
falls er einen neuen Prozess bekommt und freigesprochen
wird, dann müssen Sie sich damit abfinden. Sie sind jung.
Gehen Sie zurück nach Atlanta und versuchen Sie, diese
Tragödie hinter sich zu lassen.«
»Das ist ein guter Rat, Mr. Brand, und ich werde ihn
wahrscheinlich eines Tages befolgen«, gab ich zurück.
»Aber jetzt noch nicht.«
15
ALS ICH VOR DREI JAHREN eine Reihe von Artikeln
über Jason Lambert schrieb, einen Serienkiller aus
Atlanta, bekam ich einen Anruf von Maggie Reynolds,
einer New Yorker Lektorin, die ich bei einer
Diskussionsrunde kennen gelernt hatte. Sie bot mir einen
Vertrag an, falls ich aus meinen Artikeln ein Buch machen
wollte.
Lambert war ein Killer von der Sorte eines Ted Bundy.
Er trieb sich auf dem Campus herum, gab sich als Student
aus und überredete junge Frauen, zu ihm ins Auto zu
steigen. Wie Bundys Opfer verschwanden die Mädchen
einfach spurlos. Zum Glück hatte er nicht mehr die
Gelegenheit gehabt, die Leiche seines letzten Opfers
loszuwerden, als er geschnappt wurde. Zurzeit saß er in
Georgia ein, er hatte noch einhundertneunundvierzig Jahre
abzusitzen und keinerlei Chance auf vorzeitige Haft
entlassung.
Das Buch hatte sich erstaunlich gut verkauft, einige
Wochen lang hatte es sich sogar im Schlussfeld der
Bestsellerliste in der New York Times gehalten.
Kurz nachdem ich Brands Büro verlassen hatte, rief ich
Maggie an. Als ich ihr den Fall auseinander setzte und
ohne Umschweife meine Pläne für das weitere Vorgehen
schilderte, war sie sofort bereit, mir einen Vertrag für ein
Buch über den Mord an Andrea zu geben, ein Buch, in
dem ich, wie ich ihr versicherte, Rob Westerfields Schuld
einwandfrei belegen würde.
»Es wird viel Tamtam gemacht über das Buch, das Jake
Bern gerade schreibt«, sagte Maggie. »Deshalb würde ich
gerne ein Buch von Ihnen dagegensetzen. Bern hat seinen
Vertrag
Weitere Kostenlose Bücher