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Denn vergeben wird dir nie

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Titel: Denn vergeben wird dir nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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hatte das
mit deutlichen Worten von mir gewiesen. »Ich habe nicht gesagt, dass Andrea Angst vor Paulie hatte. Sie hatte keine
Angst vor ihm. Sie hatte Angst, dass Paulie meinem Vater
erzählen würde, dass sie sich manchmal mit Rob im
Versteck trifft.«
    »Wie schön, Sie zu sehen, Ellie. Sie sind inzwischen
eine junge Dame geworden, und ich eine alte Dame«,
sagte Mrs. Stroebel, während sie mich flüchtig auf die
Wangen küsste. Der Akzent ihres Heimatlandes floss wie
Honig durch ihre Worte.
    »Nein, nein, das sind Sie nicht«, protestierte ich. Die
Herzlichkeit, mit der sie mich willkommen hieß, war
genau wie die Herzlichkeit von Mrs. Hilmers Empfang
wie ein Lichtblick in der unwandelbaren Traurigkeit, die
als Grundstimmung jede wache Stunde meines Lebens
durchzog. Es war ein Gefühl, zu den Menschen heimzu
kehren, denen ich etwas bedeutete. Hier, in ihrer Nähe,
selbst nach so langer Zeit, war ich keine Fremde, war ich
nicht allein.
    »Häng das Schild an die Tür und sperr zu, Paulie«, sagte
Mrs. Stroebel. »Ellie, wollen Sie nicht mitkommen und
mit uns zu Abend essen?«
»Sehr gerne.«
    Ich folgte ihnen mit meinem Auto. Sie wohnten etwa
eine Meile entfernt in einem der älteren Teile der Stadt.
Die Häuser stammten alle vom Ende des neunzehnten
Jahrhunderts und waren relativ klein. Aber sie wirkten
gemütlich und waren gepflegt, und in meiner Vorstellung
sah ich Generationen von Familien, die im Sommer auf
den vorderen Verandas gesessen hatten.
    Der Hund der Stroebels, ein blonder Labrador, empfing
uns mit überschwänglicher Freude, und Paulie holte sofort
die Leine und führte ihn zu einem Spaziergang aus.
    Ihr Haus war genau, wie ich erwartet hatte: einladend,
peinlich sauber und gemütlich. Mrs. Stroebel wollte mich
dazu überreden, mich in einen der tiefen Polstersessel im
Wohnzimmer zu setzen und die Nachrichten im Fernsehen
anzuschauen, während sie das Abendessen zubereitete,
aber ich lehnte höflich ab. Stattdessen folgte ich ihr in die
Küche, setzte mich auf einen Hocker an die Theke und
schaute ihr bei der Arbeit zu. Ich bot meine Hilfe an, in
der Gewissheit, dass sie abgelehnt werden würde.
    »Nur ein einfaches Essen«, wiegelte sie ab. »Gestern
habe ich einen Rindereintopf gekocht. Wir essen ihn
immer erst am nächsten Tag, dann schmeckt er viel
besser.«
    Ihre Hände arbeiteten wieselflink, putzten Gemüse, das
erst zum Schluss in den Eintopf kommen sollte, rollten
Teig für Brötchen aus, zerpflückten Blätter für den Salat,
Ich schaute schweigend zu, weil ich vermutete, dass sie
zuerst das Essen fertig vorbereiten wollte, um dann zu
reden.
    Genauso war es.
Nach etwa einer Viertelstunde nickte sie befriedigt und
sagte: »Gut, das hätten wir. Jetzt müssen Sie mir eines
sagen, bevor Paulie zurückkommt: Können die Wester
    fields das machen? Werden sie, nach zweiundzwanzig
Jahren, wieder versuchen, meinen Sohn zum Mörder
abzustempeln?«
    »Sie werden es versuchen, aber es wird ihnen nicht
gelingen.«
Mrs. Stroebel ließ die Schultern hängen. »Ellie, Paul hat
schon so viel durchmachen müssen. Sie wissen, wie
schwer er es als Junge hatte. Das Lernen in der Schule fiel
ihm schwer. Diese Art von Wissen ist nichts für ihn. Sein
Vater und ich, wir haben uns immer große Sorgen
gemacht. Paulie ist so ein lieber, guter Mensch. Er war
sehr einsam auf der Schule, außer wenn er Football
spielte. Das waren die einzigen Momente, in denen er das
Gefühl hatte, dass man ihn mochte.«
Man sah ihr an, dass es ihr schwer fiel, fortzufahren.
»Paulie war in der zweiten Mannschaft, deshalb spielte
er nicht so oft. Aber dann, eines Tages, wurde er aufge
stellt, und die andere Mannschaft hat gepunktet, und dann
– ich verstehe überhaupt nichts von diesem Spiel; wenn
sein Vater noch leben würde, der könnte es Ihnen erklären
– dann hat Paulie in der letzten Minute den Ball
bekommen und den entscheidenden Touchdown gemacht,
mit dem sie das Spiel gewonnen haben.
Ihre Schwester spielte im Orchester, in meinen Augen
war sie die hübscheste von allen. Sie schnappte sich das
Megafon und rannte aufs Spielfeld. Paulie hat es mir
immer wieder und wieder erzählt – wie Andrea den
Lobgesang auf ihn anstimmte.«
Mrs. Stroebel machte eine Pause, legte den Kopf etwas
schief, als ob sie in sich hineinhörte, und begann dann mit
leiser, aber begeisterter Stimme zu singen: »Ein Hoch auf
Paulie Stroebel, den Besten der Besten. Kämpfen kann er,

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