Denn wer zuletzt stirbt
gab sie mir sogar drei Monate Zeit dafür. Als ich mich dann schnell verabschieden wollte, bevor sie es sich anders überlegen konnte, kam schließlich doch noch die Verwaltungsleiterin zum Vorschein.
»Übrigens, Felix. Wenn sich auf deiner Station weitere Merkwürdigkeiten ereignen, möchte ich in Zukunft bitte früher informiert werden. Einverstanden?«
Ich nickte unverbindlich und schob ab.
Durch meine Konferenz mit Beate war die Stationsarbeit in Verzug geraten. Die Schwestern lieben es nicht, wenn die Visite erst kurz vor dem Mittagessen beginnt, die Patienten auch nicht. Sie meinten wahrscheinlich, ihr verehrter Dr. Hoffmann habe verschlafen, den Vormittag im KaDeWe verbummelt oder mit seiner Freundin Celine. Genausowenig ahnten sie, daß auf meinem Schreibtisch schon wieder Anfragen der Krankenkassen betreffs weiterer Übernahme der Behandlungskosten für fast die Hälfte von ihnen auf Beantwortung warteten. Aus der Presse ist bekannt, daß die Krankenkasse anstandslos für längst verstorbene Patienten zahlt.
Liegt ein Patient aber eine Stunde länger in der Humana-Klinik, als laut Tabelle bei seiner Erkrankung vorgesehen, flattert dem Klinikarzt prompt eine »Anfrage« auf den Tisch, letztlich ein Drohbrief: Könnte ich die Notwendigkeit für die weitere stationäre Behandlung, wenn auch nur zu dem lächerlich niedrigen Tagessatz meiner Station für chronisch Kranke, nicht überzeugend begründen, würde irgendeine namenlose Sachbearbeiterin die Zahlungen an die Klinik stoppen und mir eine neue Konferenz mit Beate bescheren.
So wurde es später Nachmittag, bis ich mich um Tante Hilde und Trixi kümmern konnte. Ich ging in ihr Zimmer - ihr Bett war leer! Einen Moment stieg Panik in mir auf. Trotz allem Zureden hatten wir bisher Hilde noch nie aus dem Bett bekommen. Mit unheilvollen Vorahnungen irrte ich über die Station.
Zufrieden lächelnd fand ich Hilde im Aufenthaltsraum. Sie hatte sich in einen Rollstuhl setzen lassen und genoß sichtlich ihre Position als Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit. Trixi lag beim Englandflieger Winter auf dem Schoß.
»Sie haben ja eine ganz reizende Tante, Dr. Hoffmann«, sagte der, während er Trixi hinter den Ohren kraulte.
Ganz in ihrem Element, hielt Hilde gerade einen Vortrag über die Vorteile von Haustieren für alte Menschen. Weniger Krankheiten, weniger Depressionen, die ganze Liste. Morgen durfte ich mir wahrscheinlich den Weg durch eine Station voller Hunde, Hamster und Katzen bahnen.
Als habe sie noch nicht genug Schaden angerichtet, wechselte Hilde jetzt das Thema und schwadronierte über ihre herrliche Wohnung. Spitzenlage, den ganzen Tag Sonne, und wie günstig sie die Eigentumswohnung damals gekauft habe. Ich traute meinen Ohren nicht.
»Da kann sich jemand sehr freuen, wenn ich einmal nicht mehr bin!«
Winter schaute mich an, als überlege er, ob ich Hildes Wohnung im Geist schon nach meinem Geschmack einrichtete. Ich griff mir Trixi und den Rollstuhl und karrte Hilde in ihr Zimmer zurück.
»Hatten wir nicht vereinbart, daß Trixis Krankenbesuch unter uns bleibt? Kannst du dir vorstellen, in welche Schwierigkeiten mich das bringt?«
Tante Hilde schaute mich aus seit Tagen erstmals fröhlichen Augen an.
»Manchmal verstehe ich dich nicht, Gustav. Es haben sich doch alle sehr gefreut!«
Auch meine vorsichtigen Ermahnungen, ihre Wohnung in Zukunft nicht mehr öffentlich anzupreisen, ließen sie kalt.
»Sicher wird mich niemand wegen meiner Wohnung umbringen.«
Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen! Ich aber argumentierte, daß sie nicht vergessen solle, wie im Gegensatz zu ihr viele ihrer Zuhörer in einem Altersheim leben müßten.
»Da ist es nicht fair, hier von deiner schönen Wohnung zu prahlen. Das macht die anderen Patienten traurig.«
Das verstand sie und gelobte Besserung. Dann zog sie stolz ihr Fieberthermometer hervor. Es war unglaublich, aber auch meine mißtrauische Nachmessung ergab 37,2 Grad Celsius. Ich gönnte Trixi und ihr eine ergreifende Verabschiedung, dann verschwand der Hund wieder in meiner Aldi Tüte, und wir fuhren nach Hause. Vielleicht, ging mir durch den Kopf, könnte ich Beate einen Weg zu erheblichen Einsparungen bei den Medikamentenkosten vorschlagen.
Beate hatte mit ihrer Freundin Celine gesprochen, meiner Chefermittlerin. Nun endgültig davon überzeugt, daß sich irgend jemand in der Klinik mit der Vermittlung von gut gelegenen Eigentumswohnungen ein nicht unerhebliches Zubrot verdiente,
Weitere Kostenlose Bücher