Department 19 - Die Wiederkehr: Thriller (German Edition)
völlig schockiert, als er Frankenstein anstarrte.
»Starren gilt allgemein als unhöflich«, sagte Latour, indem er seinen Mantel auszog und dem Maître d’hôtel hinhielt.
Der Mann blinzelte, dann hatte er sich wieder gefangen. Er hörte auf, Frankenstein anzuglotzen, und kam hinter dem kleinen Pult hervor.
»Die Fraternité de la Nuit heißt Sie wieder willkommen, Gentlemen«, sagte er ölig glatt. Er nahm Latour den Mantel ab und wartete, bis auch das Monster seinen abgelegt hatte, bevor er Frankenstein ansprach. »Es ist ein besonderes Vergnügen, Sie wiederzusehen, Sir. Sie waren allzu lange fort. Ihre Anwesenheit ist sehr vermisst worden.«
»Danke«, sagte Frankenstein vorsichtig. Er war beunruhigt, weil er die Augen des Alten flüchtig rot leuchten gesehen hatte.
Was für ein Ort ist dies? Wohin bin ich gebracht worden?
»Genug geschwatzt«, sagte Latour und warf dem Alten einen unverkennbar warnenden Blick zu. »Wir müssen dringend mit Lord Dante reden. Ich vermute wohl richtig, dass er anwesend ist?«
»Gewiss, Sir«, antwortete der alte Vampir. »Sein Speisezimmer steht Ihnen beiden wie schon immer offen.«
»Gut«, sagte Latour. Er ging durchs Foyer zu der kleineren Tür in der Rückwand und wartete dort. Frankenstein folgte ihm wie ein Verurteilter auf dem Weg zum Galgen, zog sein mächtiges Haupt ein und ging durch die Tür, als Latour sie ihm aufhielt.
Als Frankenstein das kleine Theater betrat, befielen ihn augenblicklich zwei ganz gegensätzliche Gefühle: Das erste war würgende Übelkeit, als ihm der Geruch von frisch vergossenem Blut in die Nase stieg und seine Augen erfassten, welche Schrecken sich hier vor ihm abspielten. Auf einer kleinen Bühne vor halbkreisförmig aufgestellten fünfzig oder sechzig Sitzen tanzte ein Vampir mit einer Frauenleiche. Ihr Hals und ihre Schultern waren mit kreisrunden blutenden Wunden übersät, ihr Mund war riesig und leer, ihre Augen starr geweitet.
Aber das zweite Gefühl, das er empfand, als er unsicher an diesem alten Ort von Gewalt und Leid stand, war womöglich noch schlimmer: Er empfand augenblicklichen Trost, die tiefe, beruhigende Empfindung, schon einmal hier gewesen zu sein, und spürte vorübergehend etwas anderes als die bisherige Leere.
Er fühlte sich, als sei er heimgekehrt.
Was für ein Mann muss ich gewesen sein, wenn ich jemals hierhergekommen bin?, dachte Frankenstein bedrückt . Dies ist ein Ort für das Schlimmste, was die Welt zu bieten hat – für Wesen, die im Schatten, in den dunkelsten Winkeln der Nacht leben.
Für Ungeheuer.
»Hier war ich schon mal«, sagte er langsam.
»Natürlich warst du das«, bestätigte Latour. »Ich hab’s dir doch gesagt.«
»Ja, ich weiß«, antwortete Frankenstein. »Aber ich hätte’s auf jeden Fall auch so gemerkt. Ich kann es spüren.«
»Erinnerst du dich, was du hier gemacht hast?«, fragte Latour. »An die Dinge, die wir miteinander gemacht haben? An Lord Dante?«
Frankenstein suchte in seinem fragmentierten Verstand nach Antworten, fand jedoch keine. Er schüttelte frustriert den Kopf.
»Keine Sorge«, sagte Latour, aus dessen Lächeln ungezügelte Vorfreude sprach. »Ich bin mir sicher, dass er sich an dich erinnern wird. Komm!«
Latour führte ihn um die Sitze herum und folgte der gewölbten linken Wand des Theaters zu einer hölzernen Tür. Der Vampir klopfte einmal kurz an, dann stieß er die Tür auf. Er nickte Frankenstein zu, der gehorsam vortrat, um an den Ort zu gelangen, an den zurückzukehren ihm schon immer bestimmt gewesen war.
31
Echos der Vergangenheit
Jamie Carpenter, dem der Kopf schwirrte, stand von seinem Stuhl auf und machte einen langsamen Rundgang durch die Zelle. Valentin Rusmanov beobachtete ihn mit sanftem Lächeln auf seinem alten Gesicht.
Ich glaube ihm nicht, dachte Jamie . Das kann ich nicht. Es war meine Schuld, dass Frankenstein gestorben ist. Das hab ich mir doch nicht bloß eingebildet.
Aber die Worte des Vampirs ließen ihn nicht los, auch wenn er sich noch so sehr davon zu überzeugen versuchte, sie seien unwahr. Und in seinem Hinterkopf begann die listige, einschmeichelnde Stimme, die ihm gewöhnlich die Dinge sagte, die er nicht hören wollte, eindringlich zu flüstern.
Vielleicht wolltest du das nur glauben. Vielleicht war es einfacher, an deine Schuld zu glauben, als zu akzeptieren, er habe sich für dich geopfert.
Das erschien Jamie unvernünftig, denn warum hätte er die Last einer so schweren Schuld freiwillig schleppen sollen?
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