Department 19 - Die Wiederkehr: Thriller (German Edition)

hatte, und bat dann selbst um Verzeihung, weil sie den Tod ihres Mannes nicht verarbeitet und nicht erkannt hatte, dass ihr Sohn sie noch brauchte. Bis sie fertig war, waren sie beide in Tränen aufgelöst, die sich als ebenso reinigend erwiesen, wie sie schmerzlich waren. Es gab nur einen Aspekt ihrer erneuerten Beziehung, der Jamie weiter Sorgen bereitete.
    Marie Carpenter bewunderte Kate rückhaltlos.
    Und hasste Larissa.
    Er verstand, weshalb: Es war Kate gewesen, die ihren Arm um Marie gelegt hatte, als sie nach den Ereignissen auf Lindisfarne Hunger gelitten hatte; Kate, die sie zum Rettungshubschrauber gebracht und in ihrer von Natur aus ruhigen, freundlichen Art mit ihr gesprochen hatte. Larissa dagegen war eine Vampirin, und aus Maries Sicht waren alle Vampire Ungeheuer, auch wenn Jamie speziell ihr gegenüber das Gegenteil behauptete.
    Er wusste, dass er damit seine Zeit vergeudete; Marie war von dem schlimmsten Vampir der Welt entführt und gefoltert worden und über die Verwandlung entsetzt, die er bei ihr ausgelöst hatte. Aber er ließ trotzdem nicht locker, weil er wusste, dass er seiner Mutter irgendwann von seiner Beziehung zu Larissa würde erzählen wollen. Und dann sollte ihre erste Reaktion nicht Abscheu sein.
    »Ihr geht’s gut, Mom«, sagte er. »Ich soll dich von ihr grüßen.«
    Larissa geht’s auch gut. Vielleicht sogar besser.
    »Sie ist ein gutes Mädchen«, sagte Marie nachdrücklich. »Das hab ich gleich gemerkt.«
    Jamie äußerte sich nicht dazu. Stattdessen ging er durch die Zelle und betrachtete die Fotos, die seine Mutter auf der alten Kommode aufgereiht hatte. Ein kleines Bild in einem silbernen Rahmen fiel ihm ins Auge, und er bückte sich, um es genauer zu betrachten.
    Seine schwangere Mom, die in zwei, drei Monaten ihn zur Welt bringen würde, lehnte lachend an dem dunkelblauen BMW, an den er sich aus frühester Kindheit erinnerte. Sonnenlicht beleuchtete eine Reihe hellgrüner Bäume hinter dem Wagen und ließ den Schatten seines Dads über den unteren Rand der Aufnahme fallen. Die Hand des Schattens war ans Gesicht gehoben, weil sie die Kamera gehalten hatte.
    Sie sieht so glücklich aus, dachte Jamie, dann richtete er sich auf und drehte sich nach seiner Mutter um, weil er merkte, dass sie etwas gesagt hatte, das er nicht verstanden hatte.
    »Wie bitte, Mom?«, fragte er, und Marie verdrehte die Augen.
    »Ich habe gesagt, dass Henry mich heute hier unten besucht hat«, sagte sie. »Hat er dir davon erzählt?«
    »Henry?«, fragte Jamie. »Wer ist Henry?«
    »Henry Seward«, antwortete Marie, als hätte das auf der Hand liegen sollen.
    » Admiral Seward?«, fragte Jamie ungläubig. »Mein Kommandeur? Meinst du den?«
    »Natürlich meine ich den, Jamie«, erwiderte sie. Auf ihrem Gesicht erschien ein besorgter Ausdruck. »Ist irgendwas nicht in Ordnung?«
    Nein, nein, alles bestens. Warum sollte mein Boss nicht mit meiner Mom in ihrer Zelle rumhängen? Alles ganz normal.
    »Nein, ich denke nicht«, sagte Jamie. »Was wollte er?«
    »Ach, nichts Besonderes. Er ist nur runtergekommen, um hallo zu sagen. Normalerweise schaut er ungefähr einmal in der Woche vorbei.«
    »Einmal in der Woche? Jede Woche, meinst du?«
    »Jetzt habe ich dich aufgebracht«, sagte Marie. Auf ihrem Gesicht stand leichte Panik. Die Möglichkeit, ihr Sohn könnte seine Besuche einstellen, beschäftigte sie oft und bereitete ihr die größten Sorgen. »Können wir von was anderem reden?«
    Jamie versuchte noch immer, sich vorzustellen, wie Admiral Seward mit Marie Carpenter plauderte, aber er gab diesen Versuch auf, als er die Nervosität in der Stimme seiner Mutter hörte. Er atmete tief durch.
    »Natürlich können wir das, Mom«, sagte er. »Worüber möchtest du denn reden?«
    Marie lächelte erleichtert und schwebte zum Bett hinüber – offenbar so erleichtert über den vermiedenen Streit mit ihrem Sohn, dass sie nicht mal merkte, dass sie ihre Fähigkeiten als Vampirin vor seinen Augen nutzte.
    »Erzähl mir, wo du heute Abend warst«, sagte sie, als sie auf der fliederfarbenen Decke ruhte. »Ich mache mir Sorgen, wenn du unter all diesen Ungeheuern unterwegs bist. Erzähl mir, was du gemacht hast.«
    Jamie trat an die Rückwand der Zelle, ließ sich auf das abgewetzte Sofa fallen und begann ihr von seinem Tag zu erzählen.

7
Valentin bekommt Besuch
    Central Park West und West 85 th Street
New York
    Valentin Rusmanov stand an dem wandhohen Fenster seines Arbeitszimmers im obersten Stock der